Fey 02: Das Schattenportal
Fläschchen auf das Tuch und rieb anschließend das Schwert damit ein. »Wir können hier auf das Niederknien verzichten«, beschied er Nicholas. »Der Heiligste weiß, daß Ihr ihm tief in Eurem Herzen ergeben seid.«
Hinter des Rocaan Rücken verdrehte Matthias die Augen. Er wußte besser als jeder andere, daß Nicholas in Fragen der Religion niemandem ergeben war.
»Jetzt neigt den Kopf und streckt Eure linke Hand aus«, sagte der Rocaan.
Nicholas tat wie geheißen. Sein Herz schlug dreimal so schnell wie normal. Seit seiner Kindheit hatte er keinen Segen mehr empfangen; damals hatte er noch auf eine unreife, nicht sehr klare Weise geglaubt. Heute glaubte er nicht mehr und hielt den Rocaanismus für nicht mehr als nette Geschichten, mit denen man die weniger Intelligenten bei der Stange hielt. Trotzdem kehrte für einen Augenblick sein Kindheitsglaube zu ihm zurück – nicht stark genug, um als Glaubensbekenntnis durchzugehen, aber genug, um ihm eine gewisse Furcht einzujagen. Wenn nun sein Mangel an Glauben die Segnung wirkungslos machte? Würde er dahinschmelzen wie die Fey?
Er schloß die Augen. Die Spitze des winzigen Schwerts ritzte über seine Handfläche, beschrieb einen Kreis um den Mittelfinger seiner linken Hand und ließ Blut aus seiner Spitze hervortreten. Der kurze Stich war im Moment schmerzhaft, aber nicht mehr. Der Rocaan legte die andere Hand auf Nicholas’ Kopf. Die Hand war größer, als er erwartet hätte, und sie war warm, sandte Wärme mitten durch ihn hindurch.
»›Gesegnet sei dieser Mann vor Uns‹«, sagte der Rocaan. »›Möge der Heiligste seine Worte erhören. Möge der Roca über seine Taten wachen. Möge Gott sein Herz öffnen.‹«
Nicholas schluckte und wäre froh gewesen, diesen Augenblick schon hinter sich zu haben. Er spürte keinerlei Veränderung, bis auf den winzigen Stich in der Fingerspitze. Zumindest war er nicht tot. Seitdem er die Fey daran hatte sterben sehen, empfand er eine eigenartige Furcht vor Weihwasser.
»Sei gesegnet«, sagte der Rocaan.
»Sei gesegnet«, wiederholte Matthias.
»Sei gesegnet«, sagte auch Porciluna vom Kamin her.
Dann nahm der Rocaan die Hand von Nicholas’ Kopf. Der Königssohn hatte den Eindruck, als würde ein großes Gewicht von ihm genommen. Er hob den Kopf, und der Rocaan lächelte ihn an, wobei er zwei unvollständige Reihen vor Alter gelber Zähne entblößte. »Willkommen im Tabernakel, Sohn meines Freundes, Enkel meines ältesten Freundes.«
»Danke für Euer Willkommen, Heiliger Herr«, sagte Nicholas. »Und für den Segen.« Er konnte wieder atmen. Sie hatten beide das Weihwasser berührt und konnten sich nun gegenseitig sicher sein. Allerdings hatten die Ältesten nicht daran teilgenommen. Er fragte sich, ob er sie bitten sollte hinauszugehen, entschied sich jedoch dagegen. Was auch immer der Rocaan mit ihm besprechen wollte – wahrscheinlich wußten die Ältesten ohnehin schon darüber Bescheid.
Es roch kurz nach Qualm, dann fing das Holz hinter ihnen zu knacken und zu knistern an. Porciluna hatte das Feuer in Gang gebracht, durchquerte nun schweigend den Saal und ließ sich auf den verbleibenden Stuhl sinken.
»Verzeiht die Vorsichtsmaßnahmen«, sagte der Rocaan. »Ich bin nicht an eine Welt voller Feinde gewöhnt. Zuvor mußten wir nur auf die allzu Ehrgeizigen und die Bösen unter uns achtgeben. Nun müssen wir auf alles achten, denn ohne Vorsicht werden wir sterben.«
»Die Fey haben das Leben auf der Blauen Insel zerstört«, sagte Nicholas.
»Nicht zerstört«, erwiderte der Rocaan. »Beschädigt. Mit sehr viel Mühe können wir es vielleicht wieder herrichten.«
»Vielleicht«, nickte Nicholas, obwohl er nicht daran glaubte. Eine derartige Veränderung hinterließ immer nachhaltige Spuren im Gemeinwesen.
Offenbar bemerkte der Rocaan den unterschwelligen Widerspruch in Nicholas’ Ton nicht. »Wir haben um dieses Zusammentreffen gebeten«, sagte er, »weil es im Tabernakel einige alarmierende Vorfälle gegeben hat. Wir haben Knochen gefunden.«
Nicholas zog die Stirn kraus. »Knochen, Heiliger Herr?«
»Knochen«, bestätigte der Rocaan. »Einen Knochen in der Sakristei selbst, dazu einen Blutfleck, so groß wie dieser Stuhl. Außerdem ein zerlegtes Skelett neben einigen Blutspritzern in der Kapelle der Bediensteten.«
Obwohl das Feuer seine Wärme im Raum ausbreitete, verspürte Nicholas einen kalten Schauder. »Wissen wir, woher diese Knochen stammen?«
»Es sind Menschenknochen«, antwortete der
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