Fey 02: Das Schattenportal
Rocaan. »Matthias und mehrere andere haben mich dessen versichert. Und allem Anschein nach stammen sie von zwei verschiedenen Körpern. Der Knochen, der in der Sakristei gefunden wurde, fehlt nicht bei dem Skelett in der Kapelle.«
»Von einem Kampf ist nichts bekannt«, sagte Porciluna. Seine Stimme war dünn und spröde, genau wie Nicholas sie in Erinnerung hatte.
»Und im Tabernakel wird niemand vermißt«, fügte Matthias hinzu.
»Habt Ihr die Dienerschaft überprüft?« erkundigte sich Nicholas, der wußte, daß die meisten Adligen daran nicht denken würden. Die Bediensteten wurden oftmals nicht einmal wahrgenommen.
»Matthias hat das gesamte Personal antreten lassen, ebenso die uns zugeteilten Auds, die amtierenden Geistlichen und die Daniten«, sagte der Rocaan. »Es fehlte keiner.«
»Die Besucher?« hakte Nicholas nach.
»Seit der Invasion haben wir hier keine unangekündigten Besucher mehr empfangen. Eine Vorsichtsmaßnahme. Sogar das Mitternachtssakrament wird unter dem Schutz von vor den Türen postierten Daniten in der kleineren Kapelle auf dem Gelände abgehalten.« Der Ton des Rocaan verriet, daß er diese Anordnung nicht guthieß. »Wir dachten, der Palast könne uns vielleicht weiterhelfen, denn Matthias berichtete, Ihr hättet an dem Tag, an dem Lord Powell starb, ebenfalls Blut und Knochen gefunden.«
Nicholas nickte. Sein Vater hatte ihn angewiesen, dem Rocaan gegenüber absolut ehrlich zu sein. Jetzt war Nicholas dankbar für die Segnung. Obwohl er wußte, daß er mit dem echten Rocaan sprach, spürte er seine Nervosität. Jemanden ins Vertrauen zu ziehen schien zugleich gefährlich und notwendig zu sein.
»Am Tag der Invasion nahm ich eine weibliche Fey gefangen und brachte sie auf Lord Powells Anweisung zur Befragung vor meinen Vater. Nachdem er sich einige Minuten mit ihr unterhalten hatte, beschloß mein Vater, sie in den Kerker werfen zu lassen und später weiter zu verhören. Er wies Stephan, meinen Fechtmeister und selbsternannten Fey-Experten an, Lord Powell und die Frau ins Verlies zu begleiten.« Nicholas fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Als ihm einfiel, daß er diese Geste von seinem Vater übernommen hatte, hielt er sofort inne. »Sie benutzten die Geheimgänge, um niemandem auf den Korridoren zu begegnen. Als Lord Stowe später in den Kerker ging, war die Frau nicht mehr da. Wir schickten Wachen durch die Geheimgänge. Ich war dabei. Wir fanden Stephan bewußtlos und verletzt an eine Wand gelehnt. Die Frau war verschwunden. Alles, was von Lord Powell übriggeblieben war, war ein Knochenhaufen und eine große Blutpfütze.«
»Seid Ihr sicher, daß es sich dabei um Lord Powell handelte?« fragte der Rocaan.
»Wer hätte es denn sonst sein sollen?« erwiderte Nicholas. »Die Frau konnte entfliehen. Ihre Fesseln waren zerschnitten.«
»Die Knochen hätten von irgendeinem anderen stammen können«, meinte der Rocaan. »Vielleicht haben sie noch eine zusätzliche Wache mitgenommen. Möglicherweise befindet sich Lord Powell zur Stunde noch in ihrer Gefangenschaft.«
Nicholas’ Kehle war plötzlich sehr trocken. Wie oft hatte er schon über diesen Zwischenfall nachgedacht, ohne auf diese Variante gekommen zu sein? Ein ganzes Jahr lang Gefangener der Fey zu sein … das war eine Vorstellung, bei der er lieber nicht länger verweilte. »Das ist nicht alles«, sagte er und verscheuchte den Gedanken. »Nachdem Stephan genesen war, benahm er sich eigenartig. Er machte Vorschläge, die so überhaupt nicht nach ihm klangen, und er weigerte sich, mich weiter im Schwertkampf zu unterrichten. Nach einigen Hinterhalten, die belegten, daß die Fey über interne Informationen verfügten, war mein Vater davon überzeugt, daß jemand im Palast für sie spionierte. Er überprüfte uns alle. Vor zwei Nächten, beim Überfall auf das Versteck der Fey, erfuhren wir, daß Stephan die Informationen weiterleitete. Mein Vater stellte ihn vor uns allen zur Rede und …« Nicholas’ trockene Kehle machte ihm einen Moment zu schaffen. Er mußte sich räuspern, bevor er fortfuhr: »Und dann wurde Stephan mit Weihwasser bespritzt. Er … schmolz zusammen … genau wie ein Fey.«
Matthias pfiff durch die Zähne. Porciluna fuhr sich mit der Hand über das schwitzende Gesicht. Der Rocaan legte die Stirn in Falten, als habe er die Konsequenzen dessen, was Nicholas soeben erzählt hatte, noch nicht begriffen.
»Bevor er die Gefangene ins Verlies brachte«, sagte Nicholas, »erzählte Stephan meinem
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