Fey 03: Der Thron der Seherin
selten zu Gesicht, und es war ihm freigestellt, ob er an den Sakramenten teilnahm oder nicht. Er hatte seinen eigenen Weg gefunden, das Leben eines Doppelgängers in Friedenszeiten. Sein Fey-Erbe zu verleugnen fiel ihm weniger schwer, als er befürchtet hatte.
»Ejil.« Tapio trat aus dem Stall. In seinem kurzen Haar steckte ein Strohhalm, und quer über sein Gesicht lief ein schwarzer Streifen. Er war um einiges jünger als die anderen Stallburschen, aber Mirut, der König und der Prinz hatten ihn immer bevorzugt, weil er wirklich der beste Mann für diese Arbeit war. »Sie sind bestimmt bald da. Wir müssen uns umziehen.«
»Wär’ gut, wenn die andern hier wären. Die Fey sind’s, die ich nicht sehn will.«
Tapio nickte. »Glaubst du vielleicht, einer von uns? Wenn ich dich gehn lasse, lasse ich alle gehn. Und das geht nich’. Außerdem, wenn wir der Prinzessin dienen können, können wir auch ihrem Vater dienen.«
»Der Königin«, verbesserte ihn Tel. Der Gedanke, daß Jewel, eine Fey, mitten unter diesem Volk lebte, hatte ihn immer gestört. Wenn sie in die Stallungen kam, beobachtete er sie immer nur von weitem. Sie wirkte so selbstsicher, obwohl nicht alles nach ihrem Plan verlief.
»Stimmt.« Tapio schüttelte den Kopf. »Jetzt kriegen wir sogar eine von ihnen als Königin.«
Tel hätte fast gelacht. Wie würde Tapio wohl staunen, wenn er wüßte, daß sein bester Freund und Stallbursche ›einer von ihnen‹ war. »Aber jemand muß doch bei den Hengsten bleiben.«
»Die Hengste sind jede Nacht allein. Ein Tag wird die nich’ umbringen.«
Diese Diskussion führten sie öfters. Ganz gleich, wie oft Tel es versuchte, Tapio hatte immer eine Antwort parat. »Na schön«, sagte Tel schließlich. »Du ziehst dich um. Bis dahin sind die andern hier, und ich kann gehn.«
»Sei rechtzeitig zurück«, erinnerte Tapio. »Bei fremden Pferden brauch’ ich meinen besten Mann.« Dann verschwand er in Richtung des Dienstbotentraktes. Aus dem Haus war der Befehl ergangen, daß alle Stallburschen ihre besten Kleider tragen und auch die Stiefel polieren sollten. Tel und Tapio hatten ihre Stiefel schon am vergangenen Abend geputzt, sich Geschichten erzählt und gerieben wie der Teufel, um jeden Kratzer und Fleck zu entfernen.
Die anderen Stallburschen waren schon aus dem Palast zurückgekehrt, aber ihre Kleidung mußten sie erst noch in Ordnung bringen. Ein solches Theater hatte Tel noch nie erlebt. Bei den Fey gab es kein Ritual für die Machtübergabe. Der Schwarze König starb, und sein Erstgeborener übernahm das Amt. So einfach war das.
Und so kompliziert.
Stand der Erstgeborene nicht zur Verfügung, ging die Königswürde auf den Zweitgeborenen über. Kehrte der Erstgeborene zurück, wurde von dem Zweitgeborenen erwartet, daß er den Platz wieder räumte. Die Mitglieder der Schwarzen Familie konnten einander nicht töten, ohne gewaltige Umwälzungen in der Magie auszulösen. Aber es war schwierig, sich in der Wirklichkeit an das zu halten, was in der Theorie so einfach klang. Mehr als ein Schwarzer König hatte ein Familienmitglied vorsätzlich umbringen lassen. Eine Schwarze Königin hatte das Gesetz sogar völlig mißachtet und ihre gesamte Familie abgeschlachtet. Diese Tat hatte die Fey fast vernichtet.
Wahrscheinlich bereitete sich Jewels jüngerer Bruder Bridge bereits darauf vor, den Platz des Schwarzen Königs einzunehmen. Die Tradition der Fey besagte zwar, daß der Erstgeborene den Schwarzen Thron erbte, aber das Kind, das dem Thron am nächsten war, fand fast immer Mittel und Wege, auch darauf Platz zu nehmen. Nur ein Wunder konnte Jewel und Rugar noch rechtzeitig an das Sterbelager des Schwarzen Königs führen. Also kamen Jewels Brüder zum Zuge, die kaum dem Kindesalter entwachsen waren, als die Schiffe vor vielen Jahren aufbrachen.
Tel hob einen Strohhalm auf und stocherte damit in den Zähnen herum. Inselkörper hatten ihre Nachteile. Die Zähne verfaulten schneller, und überhaupt war das Altern unerfreulich. Die meisten Doppelgänger alterten absichtlich, indem sie sich ein für allemal einen Körper aussuchten und in ihm blieben. Tel hätte jemand jüngeren finden können, aber dann würde er wieder den Beruf wechseln und sich von neuem einen Platz in dieser fremden Welt suchen müssen.
Vom einen Ende des Hofes zum anderen riefen sich die Wachen Befehle zu. Tel blickte zur Sonne hoch. Es war fast Mittag. In ein paar Stunden war der Nachmittag vorüber, und dann konnte er wieder
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