Fey 04: Die Nebelfestung
nur, daß sie zum Fluß gegangen sind.«
»Hat jemand auf der anderen Seite nachgesehen? Ist jemand ein Stück am Fluß entlanggegangen, um nachzusehen, ob der Junge ein paar Schritte durch das Wasser gewatet ist, um euch von der Spur zu locken? Hat überhaupt einer von euch auch nur ein bißchen nachgedacht?« Streifer konnte seine Stimme nur mit Mühe leise halten. Er hatte die Soldaten losgeschickt, weil er sie für fähigere Spurensucher als Rotin und sich selbst gehalten hatte. Sie hatten sich als noch schlechter erwiesen.
Viel schlechter.
Tazy schüttelte den Kopf. »Der Fluß ist an dieser Stelle sehr tief, die Strömung gefährlich.«
»Ich will keine Entschuldigungen hören«, sagte Streifer.
»Das sind keine Entschuldigungen«, erwiderte Tazy. »Wenn du etwas vom Spurensuchen verstündest, wüßtest du, daß der Junge den Fluß an dieser Stelle nicht hat überqueren können. Nicht ohne fremde Hilfe.«
»Er war mit einem anderen Inselbewohner unterwegs«, sagte Streifer. »Oder hast du das vergessen?«
Tazy schüttelte den Kopf. »Wir brauchen einen Möwenreiter.«
»Rugar hat mir einen zugesagt«, erwiderte Streifer. »Er hätte heute morgen zu euch stoßen müssen.«
»Wir haben keinen gesehen«, sagte Tazy. »Sonst hätten wir inzwischen vielleicht bessere Ergebnisse.«
»Oder der Möwenreiter zog es vor, sich von euch fernzuhalten, weil die Chancen besser stehen, wenn er allein sucht.«
»Du hast aber auch noch nichts von ihm gehört, oder?«
Streifer seufzte. Er hatte noch überhaupt nichts gehört. Der Zaubermeister und sein Beschützer waren verschwunden.
»Dachte ich mir«, sagte Tazy. »Wir sind nicht unfähig. Du hättest uns nur mitteilen müssen, wie wichtig die Sache ist.«
»Das hättest du dir denken können«, gab Streifer zurück. »Es liegt doch auf der Hand, daß es wichtig ist, wenn wir so viele Leute hinter einem entflohenen Gefangenen herschicken.«
Tazy zuckte die Achseln. »Ich dachte, Rugar hätte wieder etwas überreagiert. Er haßt es, wenn Gefangene entfliehen.«
»Ist das denn schon einmal passiert?«
»Einmal, in Nye. Er ist durchgedreht.«
»Er ist auch jetzt nicht besonders angetan davon. Ich noch weniger«, sagte Streifer. »Organisiere deine Suchtrupps. Ich möchte, daß ihr unter jedes Blatt schaut, in jede Pfütze und in jeden Baum. Hast du verstanden?«
Tazy nickte. »Wenn er gefunden werden kann, dann finden wir ihn.« Er schlug die Hacken zusammen, machte die Tür auf und verließ den Raum.
Streifer seufzte und schloß einige Sekunden die Augen. Es war ihm immer noch unvertraut, Befehle zu erteilen. Vielleicht hatte er es nicht richtig gemacht, vielleicht stimmte aber auch etwas mit Tazys Einstellung nicht, so wie bei vielen hier in letzter Zeit.
Jetzt suchten sie wahrscheinlich überall und intensiv, aber ihre Chance war wohl dahin. Jeder Tag, der verstrich, schadete den Fey und Streifers Bann. Der Junge hatte wahrscheinlich mit einem Kater zu kämpfen. Sie mußten ihn erwischen, solange die Symptome noch schmerzlich auftraten und er selbst zurückwollte. Denn die nächste Stufe nach dem Kater war wie ein Rausch, in dem sämtliche Sinne sich auf die neuen Erfahrungen in der Welt warfen. Hatte der Junge erst dieses Stadium erreicht, wollte er um keinen Preis mehr ins Schattenland zurück.
Streifer öffnete die Augen. Seine Fäuste waren immer noch geballt. Niemand verstand seine Enttäuschung und die darunter brodelnde Wut. Jetzt, nachdem er endlich eine Lösung für das Problem mit dem Gift gefunden hatte, war ihm diese Lösung entwischt. Zaubermeister gab es nur alle Generationen einen. Der nächste Fey-Zaubermeister wurde womöglich auf der Blauen Insel geboren, wahrscheinlich kam er aber in Nye zur Welt.
Damit nützte er ihnen hier nichts.
Selbst ein Neugeborenes war nutzlos.
Coulter war im richtigen Alter.
Aber Coulter war ein Inselkind.
Die Fey mußten ihn finden, bevor ihm das bewußt wurde.
28
Nicholas hockte sich vor seinem Sohn auf den Boden. Sebastian hatte eine kleine Beule am Kopf. Die Beule hatte sich auf eigenartige Weise ausgedehnt, und jetzt sah es fast aus, als sei die Haut zerrissen. Nicholas betastete die Verletzung vorsichtig. Sebastian zuckte, drehte sich aber nicht weg. Seine Augen waren wie immer groß und vertrauensvoll auf Nicholas gerichtet.
Trotzdem behaupteten Solanda und das Kindermädchen, er sei noch vor wenigen Augenblicken ein anderer gewesen.
Es war stickig heiß im Zimmer. Solanda zog zwar am
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