Fey 04: Die Nebelfestung
paßten die Domestiken, die sich um ihn kümmern sollten, nicht besonders gut auf ihn auf. Er gehörte zu niemandem, und deshalb kümmerte sich niemand um ihn.
Bis auf Adrian.
Doch selbst ihn hatte Coulter nicht näher an sich herangelassen. Und kein einziges Mal in all den Jahren, die sie nun schon in der gleichen Hütte wohnten und sich über die Geschichte der Insel unterhielten, wollte Coulter von ihm in den Arm genommen werden.
»Kannst du jetzt reden?« fragte Adrian.
Sein Hemd war feucht. Coulter hatte wirklich geweint.
Als Coulter zu sprechen ansetzen wollte, verschluckte er sich. Dann stemmte er sich auf dem Ellbogen auf, achtete sorgsam darauf, ihn auf der Pritsche und nicht auf Adrians Brust aufzusetzen, und wischte sich mit dem Hemdsärmel über das Gesicht.
»Sie sagen, ich darf Gabe nicht mehr sehen.« Seine Stimme hörte sich kindlich und schmollend an. Normalerweise klang Coulter nie kindlich, worüber sich Adrian, unter anderem, seit jeher gewundert hatte.
»Wer sagt das?«
»Rugar.«
Adrian versteifte sich. Wenn Rugar damit zu tun hatte, war etwas Ernstes vorgefallen. »Warum sagt er das?«
»Weil Streifer ihm gesagt hat, ich sei zu mächtig.«
Sie unterhielten sich in der Inselsprache, was sie immer taten, wenn sie allein waren. Adrian hielt es für richtig, daß Coulter die Sprache seines Volkes lernte. Manchmal reichte die Sprache der Inselbewohner jedoch nicht aus, um die magischen Ausdrücke der Fey wiederzugeben.
»Erzähl es mir auf Fey«, sagte Adrian. »Was meinten sie mit ›zu mächtig‹?«
»Rugar kam mit Streifer zu mir«, sagte der Junge und wechselte dabei die Sprache. Dann legte er sich mit dem Rücken auf Adrians Brust, als wollte er nicht, daß Adrian ihm beim Erzählen zusah. »Und Streifer versuchte, mich zu schnappen …«
»Zu schnappen?«
»Es war komisch. Er schleuderte mir Feuer entgegen, und Licht und Worte, und ich mußte sie blockieren.«
Adrians Hand erstarrte auf Coulters blondem Haar. »Blockieren?«
Coulter nickte. Sein Kopf rutschte auf Adrians Brust hin und her.
»Konntest du das denn?« erkundigte sich Adrian.
»Es war schwierig, und einmal habe ich es nicht geschafft.«
»Was haben sie denn dazu gesagt, daß du derlei Dinge blockieren kannst?«
»Streifer sagte die ganze Zeit, das sei ganz und gar unmöglich.«
Genau das dachte auch Adrian. Die Fey benutzten den Ausdruck ›blockieren‹ besonders in dem Zusammenhang, wenn es darum ging, einen mittels Magie ausgeführten Angriff zu vereiteln.
Adrian schluckte. Er wollte die nächste Frage so vorsichtig wie möglich stellen. »Hast du zum Blockieren deine Hände benutzt … oder deine Gedanken?«
»Meine Gedanken«, sagte Coulter. »Wie blockierst du denn?«
Adrian strich wieder über Coulters Haar. Er wollte ihr Gespräch nicht merkwürdiger klingen lassen, als es ohnehin schon war. »Mit den Händen«, sagte er.
»Das klappt aber nicht«, erwiderte Coulter.
»Weiß ich.«
»Was ist mit den Gedanken? Kannst du damit nicht blockieren?«
»Nein«, gab Adrian zurück. Coulter konnte es offenbar. Coulter. Blond, rundgesichtig, blauäugig. So zweifellos ein Inselbewohner, daß ihn die Fey nicht viel besser als einen Hund behandelten.
Mit Ausnahme von Solanda. Sie hat ihn mitgebracht, von Magie gesprochen und war wieder verschwunden, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Auch Mend war der Meinung, Coulter verfüge über magische Kräfte, aber Adrian hatte das immer für Weibergeschwätz gehalten und sie nicht für ernst genommen.
»Und was tust du, damit sie dir nicht weh tun?« wollte Coulter wissen.
Adrian vergrub sein Gesicht in Coulters Haar. Es roch nach der Seife der Domestiken und nach Kinderschweiß. »Manchmal tue ich nichts«, sagte Adrian.
Coulter schwieg für lange Minuten. Nachdem das Feuer heruntergebrannt war, machte sich in der Hütte eine unangenehme Kälte breit. Doch Coulters Körper wärmte Adrian mehr als genug.
»Warum lassen sie mich nicht mehr mit Gabe spielen?«
»Keine Ahnung. Hast du etwas blockiert, was Gabe dir geben wollte?«
Coulter schüttelte den Kopf. Sein Griff verfestigte sich. Gabe und Coulter waren die beiden einzigen Kinder ihrer Altersstufe im Schattenland. Im letzten Jahr waren zwar noch einige Kinder zur Welt gekommen, doch sie waren viel zu klein, um drei- oder fünfjährige Jungen zu interessieren. Coulter zu verbieten, Gabe zu sehen, war etwa so, als untersagte man ihm zu essen. Coulter hatte nur zwei Freunde. Gabe und Adrian. Und von den
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