Fey 04: Die Nebelfestung
entwickelt als ein normaler Fünfjähriger, auch viel klüger, aber er war trotz allem immer noch ein Kind.
Ein Kind, das aus einer Welt schlau zu werden versuchte, die sich nicht um ihn kümmerte.
Adrian hörte die unausgesprochenen Fragen. Können sie mich besser leiden, wenn ich über Zauberkräfte verfüge? Werde ich einer von ihnen, wenn ich mich so wie sie benehme? Werden sie mich akzeptieren?
Adrian vermutete, daß die Antwort auf alle Fragen ›Nein‹ lautete.
Aber das sagte er Coulter nicht. Noch nicht.
»Wie weit reichen deine magischen Kräfte?« fragte er.
»Weiß ich nicht«, erwiderte Coulter.
Vielleicht war das die falsche Frage. »Welche Art von Sachen kannst du denn?«
»Ich denke nicht darüber nach.« Adrian hörte die Vorsicht aus Coulters Stimme heraus.
»Woher weißt du dann, ob du etwas tun kannst?«
»Ich tue es einfach.«
Adrian stützte den Oberkörper auf, damit er Coulter gerade in die Augen blicken konnte. »Coulter, vertrau mir. Ich will dir helfen, und das kann ich nicht, wenn ich nicht verstehe, was hier vor sich geht. Auch für mich ist das alles neu. Wie machst du es also?«
Coulter biß sich auf die Lippe, fuhr dann mit der Zunge darüber und schluckte so schwer, daß sein kleiner Adamsapfel sichtbar hüpfte. »Es ist wie mit den Verbindungen. Ich weiß, daß sie da sind, aber meistens denke ich nicht daran. Ich fühle, daß da alle möglichen Dinge sind, die ich tun kann, aber ich tu sie nicht, weil ich es nicht brauche. Ich will eigentlich nicht, so wie mit dem Abblocken. Das habe ich noch nie gemacht, aber als ich es tun wollte, war es einfach da.«
»Kannst du etwas tun, wenn ich dich darum bitte?«
»Manche Sachen schon«, sagte Coulter. »Warum?«
»Woher weißt du, daß du alles tun kannst?«
Coulter zuckte die Achseln und schaute zur Seite. Einen Augenblick befürchtete Adrian schon, er habe ihn verloren.
»Coulter, ich bitte dich«, sagte er. »Es ist wichtig. Für uns beide.«
Coulter drehte sich zu Adrian um. Seine Augen waren voller Tränen, doch keine Träne rann über seine Wangen. »Ich … sie … ich weiß, daß manche Teile noch nicht fertig sind. So als könnte ich es eines Tages tun, aber noch nicht jetzt. Und ich habe richtig Angst …«
Bei dem Wort ›Angst‹ brach seine Stimme, und er verstummte.
Adrian legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Wovor denn?«
»Davor, daß ich etwas tun muß und noch nicht soweit bin.« Coulter blinzelte, und jetzt liefen ihm die Tränen herunter, stumme Rinnsale des Jammers. Adrian zog den Jungen an sich, barg den kleinen Kopf an seiner Schulter. Der Junge schluchzte nicht, aber die Tränen strömten lange und ungehemmt aus ihm heraus. Adrian legte die eigene Wange auf den Kopf des Jungen.
Kein Wunder, daß der Junge die ganze Zeit über so verstockt gewesen war. Er trug eine große Verantwortung mit sich herum, auch jetzt noch. Der Zwischenfall mit Gabe hatte ihn, statt ihm mehr Selbstvertrauen zu geben, nur noch mehr belastet. Und wenn Coulter ihn nicht hätte retten können? Was dann?
Adrian kannte dieses Gefühl. Er lebte bereits seit vier Jahren damit. Als es darum ging, seinen eigenen Sohn zu schützen, war er nicht dazu in der Lage gewesen. Er hatte sein eigenes Leben opfern müssen, um das von Luke zu retten. Er hatte keine andere Wahl gehabt, und selbst das war ihm als zu wenig und viel zu spät vorgekommen.
»Coulter«, sagte Adrian leise, »du hast mehr getan, als jeder andere hätte tun können. Du hast richtig gehandelt. Du hast Gabe das Leben gerettet.«
»Aber jetzt wollen sie mich nicht mehr zu ihm lassen.«
»Sie fürchten sich vor dir. Du bist nicht das, was sie erwartet haben. Die Leute fürchten sich vor den Dingen, die sie nicht verstehen.«
»Und warum verstehen sie mich nicht?« fragte Coulter. »Ich bin doch wie sie.«
»Ich weiß«, sagte Adrian. »Aber bisher haben sie geglaubt, niemand sei so wie sie. Du bist der Beweis dafür, daß sie sich geirrt haben.«
Und jetzt wollten sie herausfinden, wie ähnlich ihnen der Junge wirklich war. Adrian würde nicht zulassen, daß sie mit Coulter herumexperimentierten. Er wollte nicht noch einen Sohn an diese Leute verlieren. So wie er Luke verloren hatte.
Die Fey hatten gesagt, daß Luke sterben müsse, wenn Adrian floh. Aber vielleicht, vielleicht konnte Adrian das verhindern. Insbesondere dann, wenn die Fey nicht gleich bemerkten, daß er weg war.
Auf diese Weise könnte Adrian seine beiden Söhne retten, seinen echten und
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