Fey 04: Die Nebelfestung
Schamanin schüttelte den Kopf. »Jewel hätte das Kind zurückholen sollen, aber sie hat niemals Gesehen, was da vor sich ging. Ich habe es Gesehen, aber nichts unternommen. Auch das war einer meiner Fehler. Gabe wohnt jetzt schon drei Jahre bei den Fey. Er ist inzwischen zu einem Fey geworden. Alle meine Visionen, die ihn betreffen, zeigen mir, daß er die Schattenlande nicht verlassen kann.«
Solanda schwieg. Wenn der Klumpen in der Nähe war, kam sie sich immer fehl am Platze vor. Es wäre schön gewesen, Nicholas zu sagen, er solle das richtige Kind herbringen. Aber wenn die Schamanin sagte, Gabe gehörte ins Schattenland, dann würde er auch im Schattenland bleiben.
»Der Junge hat seine Visionen seinem Großvater bereits mitgeteilt.« Offensichtlich hielt die Schamanin Solandas Schweigen für Mißfallen. »Wir wissen nicht, was Rugar erfahren hat. Uns bleibt nur zu hoffen, daß er Arianna niemals in seine Gewalt bekommt, daß sie niemals mit ihm spricht, ja, daß sie ihn nie zu Gesicht bekommt.«
Das Kind wälzte sich im Bettchen, als hätten es die Worte verwirrt. Solanda jedenfalls fühlte sich von ihnen durcheinandergebracht. »Schamanen sollen eigentlich den Schwarzen Thron unterstützen«, sagte sie. »Du müßtest Rugar helfen.«
»Rugars Vater hat ihn vom Schwarzen Thron verbannt. Rugar hat all meine Unterstützung verloren, als er zuließ, daß Jewel starb. Meine Unterstützung gilt nun den Erben des Throns.«
»Davor kommen aber noch Jewels Brüder«, wandte Solanda ein.
»Jewels Brüder haben nicht die geringste Chance, wenn der Schwarze König von Ariannas Fähigkeiten erfährt. Jewel selbst hatte mehr Fähigkeiten als sonst jemand in Rugads Familie, doch im Vergleich zu ihren Kindern besaß sie so gut wie keine Zauberkräfte.«
»Dann hat sie also die richtige Entscheidung getroffen, als sie Nicholas heiratete?«
Die Schamanin nickte. »Wer konnte ahnen, wohin sie ihre Vision führte, aber sie ließ sich führen, so gut es eben ging. Hätte Rugar König Alexander am Leben gelassen, lebten wir alle schon jetzt in einer besseren Welt.«
»Jewel hätte sich niemals richtig um dieses Kind kümmern können«, widersprach Solanda.
»Du bist noch nie mit Jewel ausgekommen«, erwiderte die Schamanin.
Das reichte. Solanda hatte genug gehört. Sie hatte Arianna alles gegeben. »Um dieses Kind zu retten, mußte ich meine Gestalt zweimal umwandeln. Das hätte Jewel niemals tun können. Ohne dich, ohne die Domestiken und nur mit den Heilern von der Insel wäre Arianna noch bei der Geburt gestorben, und das weißt du.«
»Willst du damit sagen, Jewels Tod war von den Mächten gewollt?«
Solanda hielt inne. Sie wußte nicht genau, ob sie das damit sagen wollte. Sie überlegte einen Augenblick und rieb dabei mit dem Daumen über die weiche Haut an Ariannas Handgelenk.
»Nein«, sagte Solanda schließlich. »Ich sage nur, daß die Mächte beschlossen haben, daß wir entweder Jewel oder Arianna haben können. Uns stand diese Wahl nicht zu. Rugar traf sie für uns.«
»Findest du, daß er die richtige Wahl getroffen hat?« Die Schamanin hörte sich an, als stellte sie Solanda auf die Probe.
Solanda beugte sich nach vorne und küßte Ariannas Kopf. Hätte Rugar eine andere Wahl getroffen, würde es Arianna nicht geben. Doch hätte er sich anders entschieden, verfügte Solanda heute noch über ihre Freiheit.
»Wie rechnet man ein Leben gegen das andere auf?« fragte Solanda. »Jewel ist tot. Daran können wir nichts ändern. Arianna ist am Leben. Wir müssen dafür sorgen, daß sie auch weiterhin am Leben bleibt.«
»Richtig«, nickte die Schamanin. »Wir müssen Rugar auf alle Fälle von dem Kind fernhalten.«
Ariannas Griff um Solandas Finger verstärkte sich. Sie wünschte, es wäre nicht so dunkel im Zimmer. Sie konnte nicht erkennen, ob das Kind noch schlief oder schon aufgewacht war. Doch die Schamanin hatte das Zimmer so abgedichtet, daß sie niemand belauschen konnte und sie sich einfacher unterhalten konnten. Vertraulichkeiten ließen sich im Dunkeln immer besser austauschen.
Solanda neigte den Kopf. »Du weißt, daß ich Rugar mein Leben verpfändet habe«, sagte sie.
»Das habe ich schon immer für einen überstürzten und unnötigen Akt gehalten«, erwiderte die Schamanin.
»Aber du wußtest es doch?« fragte Solanda.
»Ich vermutete es. Eine Frau mit deinen Talenten spioniert nicht einfach so – und sie nimmt auch nicht ohne jeden Grund an närrischen Unternehmen wie diesem
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