Fey 04: Die Nebelfestung
schlafe, und Arianna versucht wieder, sich in Feuer zu verwandeln?«
Die Schamanin seufzte und zog sich vom Fenster zurück. »Du wirst auf die Zauberkräfte und die Mysterien vertrauen müssen«, sagte sie. »Sie haben dich zu Arianna geführt. Du wirst deiner Aufgabe gewachsen sein.«
»Ich habe nicht um diese Pflicht gebeten.«
»Seit dem Augenblick, an dem du das Schiff zur Blauen Insel bestiegst, warst du dafür bestimmt«, sagte die Schamanin.
»Ich hatte keine andere Wahl, ich mußte mitkommen.«
Die Schamanin sah sie einen Augenblick durchdringend an. »Nein«, sagte sie, »vermutlich nicht. Aber jetzt mußt du deine Wahl treffen.«
Solanda schüttelte den Kopf. »Du hast mir doch gerade gesagt, mir bliebe nichts anderes übrig.«
Die Schamanin lehnte sich an das Fensterbrett, so wie Solanda es kurz zuvor getan hatte. »Wir sprechen jetzt nicht mehr von Arianna. Wir reden von Rugar. Du darfst nicht mehr tun, was er sagt.«
Solanda strich die Haare aus Ariannas Stirn. Die Haut des Kindes war vom Schlaf ganz warm. »Er weiß nicht, daß ich hier bin. Ich gehe auch nicht mehr zurück, wenn er mich ruft.«
»Das weiß ich, Kindchen, aber es ist mehr als das. Er wird versuchen, Arianna zu entführen und ins Schattenland zu bringen, so wie er es mit ihrem Bruder getan hat. Das darf ihm nicht gelingen.«
»Warum darf sie nicht ins Schattenland? Sie ist doch zum Teil eine Fey?«
Die Schamanin warf Solanda einen strengen Blick zu. Solanda spürte, wie sie errötete. Sie hatte der Schamanin eine unhöfliche Frage gestellt. Die alte Frau sprach oft in Rätseln. Die Pflicht der Fey bestand darin, nach diesen Rätseln zu handeln, nicht sie in Frage zu stellen. Sie mußten mit der Zukunft leben, von der die Schamanin berichtete und ihr damit erlauben, die kleinen, aber überaus wichtigen Dinge in die Wege zu leiten.
Dann hob die Schamanin die Arme und zog den Vorhang vor das Fenster, ging zu den beiden anderen Fenstern und tat das gleiche, woraufhin der Raum in Dunkelheit gehüllt wurde. Nur das Glühen des Kamins sorgte für ein wenig Helligkeit.
Die Schamanin ging darauf zu und ließ sich davor nieder. Solanda sah ihr Gesicht im Profil. »Ich bin eine junge Schamanin«, sagte sie, »weit weg von meinesgleichen, und ich versuche, so gut es geht dazuzulernen. Jewel starb, weil ich mir nicht über die Rolle ihres Vaters für die Zukunft der Fey im klaren gewesen bin. Ich will versuchen, mich dir gegenüber so deutlich wie möglich auszudrücken, aber hinsichtlich gewisser Dinge verfüge auch ich nicht über die nötige Klarheit. Nur über ein bestimmtes Wissen.«
Solanda blieb neben der Wiege stehen. Sie wollte Arianna nicht unbeaufsichtigt im Dunkeln liegen lassen. Einmal hatte das Kind bei einer Verwandlung nicht das kleinste Geräusch von sich gegeben.
»Arianna ist eine Gestaltwandlerin, geboren von einer Visionärin. Diese Kombination ist sehr selten, würde aber als Teil der Mysterien gelten, wären da nicht noch zwei andere Dinge. Ihr Bruder hat in diesem Jahr seine erste Vision gehabt und wäre beinahe zusammen mit seiner Mutter gestorben, was darauf hindeutet, daß ihre Verbindung sehr stark war. Er wurde von dem Kind gerettet, das du uns gebracht hast.«
»Coulter?« fragte Solanda. Sie erinnerte sich an die Spur des Kummers, der sie gefolgt war, die Spur, die Coulter hinterlassen hatte, als er nicht viel älter gewesen war als Arianna jetzt, eine Spur, auf der er seine Eltern zu sich zu führen gehofft hatte. Seine Eltern waren am gleichen Tag gestorben, an dem er von einer freundlichen Frau gerettet wurde, deren Herz Solanda später brach. Es war eine der wirklich grausamen Taten, die Solanda jemals begangen hatte, und die einzige, die sie bedauerte.
»Der Junge verfügt über zauberische Fähigkeiten.«
»Aber er ist kein Fey.«
»Genau«, antwortete die Schamanin. »Wir sind um die halbe Welt gezogen, bis wir ein Volk wie das unsere gefunden haben.«
»Aber sie können nicht ihre Gestalt verwandeln. Sie haben weder Doppelgänger noch Hüter.«
»Weil sie sie nicht brauchen«, gab die Schamanin zurück. »Sie sind das am besten geschützte Volk, dem wir je begegnet sind. Sie mußten sich lediglich voreinander in acht nehmen. Und das taten sie mittels ihrer Religion.«
»Das Gift«, sagte Solanda.
»Und durch ihren Gott, den Roca.«
»Er ist kein Gott«, widersprach Solanda, »sondern ein Mensch, von dem sie behaupten, er sei der Gottgefällige.«
»Der auferstand, aber immer noch
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