Fey 04: Die Nebelfestung
sich erst mit drei Jahren für ihre endgültige Zweitform.
Sonst mußten sie sterben.
Komplette Verwandlungen vollzogen sich jedoch nicht, wenn die Neugeborenen nur spielten. Sie wurden durch Anspannung oder große Furcht ausgelöst. Bevor es nicht sprechen und laufen konnte, lernte das Kind auch nicht, seine Wandlungen zu kontrollieren.
Solanda war jetzt schon müde. Wie würde es ihr erst ergehen, wenn Arianna eine zappelige Zweijährige war?
Bis jetzt hatte die Kleine an jedem Tag ihres kurzen Lebens versucht, sich zu Verwandeln. Zweimal hatte sie dabei Erfolg gehabt, falls man die Gestaltwandlungen während der Geburt nicht mitzählte.
Diese jagten Solanda besonders viel Angst ein. Ein Wandel bei der Geburt, davon hatte sie schon einmal gehört, auch von einer Rückverwandlung. Aber noch nie von vier Verwandlungen hintereinander. So etwas gab es in der ganzen Geschichte der Fey nicht. Nicht vier Verwandlungen hintereinander.
Die Brise vom Fenster war etwas feucht und führte Flußgeruch mit sich. Solandas Magen knurrte. Was gäbe sie jetzt nicht alles für einen frischen Fisch zwischen den nassen Pfoten, in dessen Fleisch sie ihr Mäulchen hineingraben und ihn mit Haut und Gräten verschlingen konnte.
Sie fürchtete, daß sie derartigen Luxus noch lange würde entbehren müssen. Nachdem sie am Morgen von der Kinderfrau geweckt worden war, hatte sie einen Tagtraum von einer Ratte gehabt, die irgendwie ins Kinderzimmer geraten war. Sogar das zähe Fleisch einer schmutzigen Ratte wäre ihr zur Abwechslung recht gewesen.
Aber das alles stand vorerst nicht auf dem Speiseplan.
Sie traute sich einfach nicht, Arianna allein zu lassen.
Nicht einmal um herauszufinden, wie sie sich am besten um sie kümmern konnte.
Hier im Palast würde kein Fey auftauchen und ihr helfen. Sie fürchteten die Inselbewohner so sehr, daß die Schamanin Jewels Tochter hier allein zurückgelassen hätte, statt ihr einen Wächter zu überlassen.
Vielleicht hielt die Schamanin das auch für Nicholas’ Aufgabe.
Aber der König geriet jedesmal in Panik, wenn er von Ariannas Gestaltwandlungen hörte. Solanda konnte sich nicht vorstellen, wie er sich jemals während eines solchen Wandels um seine Tochter hätte kümmern sollen.
Wahrscheinlicher war es, daß die Schamanin Gesehen hatte, daß Solanda sich um Arianna kümmerte. Vermutlich gehörte das alles zu einem übergeordneten Plan.
»Jaja«, sagte die Kinderfrau in diesem süßlichen Tonfall, den Inselbewohner ihren Säuglingen gegenüber anschlugen. »Sebastian ist ein braver Junge.«
Sebastian ist ein braver Junge. Sarkastisch wiederholte Solanda die Worte lautlos. Was hätte er auch anderes sein können? Dieser Klumpen konnte keine bewußten Entscheidungen treffen. Und jetzt lobte ihn die junge Frau dafür, daß er sein Frühstück aufgegessen hatte. Dabei mußte er doch nur das Gesicht wahren. Das war ein Teil seines Auftrages. Soviel hatten ihm die Irrlichtfänger mitgegeben. Was sie ihm allerdings nicht mitgegeben hatten, war die Fähigkeit, so lange zu überleben.
Dafür hatte eine andere Person gesorgt.
Rugar und die Schamanin vermuteten, das Ding habe durch Jewels Liebe überlebt. Aber je länger Solanda diesen Klumpen beobachtete, desto mehr zweifelte sie daran. Jewel war tot. Nicholas hatte ein eher kühles Verhältnis zu seinem Sohn, obwohl er mit ihm sprach. Die Kinderfrau behandelte ihn wie ihr eigenes Kind, aber es bestanden keinerlei Blutsbande zwischen den beiden, also hatte ihre Zuneigung keinen Einfluß auf seine Entwicklung.
Eines Tages würde Solanda herausfinden, wieso sich der Lehmklumpen bewegte. Aber nicht heute.
Solanda streckte die Vorderpfoten aus und reckte sich, indem sie zuerst den Bauch an den Boden preßte und dann den Rücken krümmte. Die Brise war zu frisch. Sie konnte nicht mehr länger hier sitzen bleiben.
Also sprang sie vom Fensterbrett auf den Tisch und schlängelte sich an den vielen Spielzeugen vorbei, mit denen die Adligen Arianna beschenkt hatten, bis sie am Fußende der Wiege ankam.
»O nein, das geht nicht!« ertönte augenblicklich die Stimme der Kinderfrau. Sie legte den Lehmklumpen vor dem langsam erlöschenden Kaminfeuer ab und eilte zur Wiege. »Du bleibst mit deinem dreckigen Fell von meiner Kleinen weg.«
»Punkt eins«, sagte Solanda, ohne sich in ihre Fey-Gestalt zu wandeln. »Ich bin nicht dreckig, ich bade sozusagen ununterbrochen. Punkt zwei: Das ist nicht dein Kind. Sie gehört mir, und ich würde niemals etwas tun,
Weitere Kostenlose Bücher