Fey 06: Die Erben der Macht
Feldes lag. Ein Bauernhof. Der Junge würde nicht so dumm sein, sich auf einem Bauernhof zu verstecken.
Oder doch?
War das vielleicht ein besonders geschickter Schachzug? War das nicht ein Spiel, wie auch Rugad es spielen würde? Tu das Offensichtliche und nutze es zu deinem Vorteil.
Wirbler ließ sich noch tiefer sinken und begann zu glühen. Sein schwacher Schimmer erleuchtete die Spur unter ihm ein wenig. Auf der anderen Seite des Maisfeldes stand ein Heuhaufen, dann noch einer und noch einer, den ganzen Weg bis zur Scheune. Dahinter lag das Gehöft selbst.
Wirbler umkreiste zuerst das Haus. Der Bauer, seine Frau und ihre fünf Kinder aßen Abendbrot, ohne sich darum zu kümmern, daß rings um sie herum eine Schlacht tobte. Wenn sie tatsächlich Flüchtlinge versteckten, verhielten sie sich nicht so gelassen. Sie würden nicht so zulangen, hätten sie von der Invasion erfahren.
Das Haus besaß kein Kellergeschoß, kein unterirdisches Versteck, das Wirbler von außen erkennen konnte. Und er hätte es von außen sehen müssen, sonst versteckte jemand im Haus den Jungen, und dem war nicht so.
Dann flog er zur Scheune hinüber.
Sie besaß drei kleine Fenster, alle auf unterschiedlicher Höhe. Wirbler spähte in alle drei hinein und flog dann durch das unterste.
Die Scheune war leer. Der Boden war von Ähren übersät, die Schober selbst warteten auf die Herbsternte. Alles Getreide, das sonst hier aufbewahrt wurde, war entweder verkauft oder aufgezehrt.
Hier konnte sich der Junge nur verstecken, wenn er seine Größe verändern konnte, wie ein Irrlichtfänger, oder seine Erscheinung, wie ein Gestaltwandler. Nach allem, was Wirbler wußte, war der Junge weder zum einen noch zum anderen fähig.
Blieben noch die Heuhaufen.
Wenn Wirbler in sie hineinkroch und der Junge sich tatsächlich dort versteckte, würde er Wirbler erkennen und sich aus dem Staub machen, bevor die Soldaten eintrafen. Wirbler mußte sich etwas Besonderes einfallen lassen.
Müßte sich Wirbler verstecken, er hätte sich den mittleren Heuhaufen ausgesucht. Nicht zu dicht am Bauernhaus, aber auch nicht zu weit entfernt. Nicht zu nah am Maisfeld, aber auch nicht zu weit weg.
Wirbler flog so niedrig wie möglich. Der erste Heuhaufen war nicht einfach nur aufgeschüttet, sondern zusammengebunden. Mehrere Heubündel waren zusammengestellt und in der Mitte verschnürt worden. Sie neigten sich aneinander und stützten sich gegenseitig. Nur ein Sturm konnte sie trennen.
Aber der mittlere Haufen war nicht so sorgfältig gebaut. Auch in seiner Mitte standen mehrere Bündel, aber sie schienen sich an nichts anzulehnen. Die Schnur um sie herum war lose. Und ringsherum lagen geknickte und zertretene Halme auf dem Boden.
Wirbler zögerte einen Augenblick, bereit, hineinzuschlüpfen und nachzusehen. Aber jetzt konnte er endlich die Soldaten auf der anderen Seite des Feldes marschieren hören. Falls der Junge doch nicht hier war, würde er die Soldaten ein bißchen mit der Bauernfamilie herumspielen lassen. Das würde sie beschäftigen, während Wirbler weitersuchen konnte.
Doch das war nicht mehr nötig.
Seine Suche war zu Ende.
DIE KONFRONTATION
39
Das Schwindelgefühl, das ihn nach der ganzen Serie von Visionen überfallen hatte, war zurückgekehrt. Rugad rieb sich mit der Hand über die Augen. Seither war er schon die ganze Zeit unruhig gewesen, aber es schien nur noch schlimmer zu werden.
Rugad stand immer noch im Großen Empfangssaal und ließ den Blick über die mit Waffen dekorierte Wand schweifen. Auch wenn er diesen Saal nicht zu seinem Hauptquartier machte, gefiel er ihm von allen Räumen des Palastes am besten. Es war der einzige Raum, der ein bißchen nach Fey aussah. Das mußte wohl an den vielen Waffen liegen, die immer noch an der Wand hingen.
Die Stimmung seiner Truppe mißfiel Rugad. Im besten Falle waren sie verwirrt über die Beinahe-Niederlage, im schlimmsten völlig verängstigt. Sie schienen zu glauben, daß die Inselbewohner mehr geheime Kräfte besaßen als irgendein anderes Volk, gegen das die Fey je gekämpft hatten.
Wenn Rugad den Gerüchten nicht bald ein Ende machte, würden sie sich ausbreiten und eine Eigendynamik entwickeln, die nur schwer wieder in den Griff zu bekommen war.
Er durfte nicht länger zögern.
Als Hauptquartier hatte Rugad schließlich den Raum gewählt, in dem Nicholas gefangengenommen worden war, obwohl dieser Raum durch die vielen Fenster nach allen Seiten offen stand.
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