Fey 06: Die Erben der Macht
Er räusperte sich, um das Zittern seiner Stimme zu überspielen.
Matthias kämpfte einen Moment mit sich. Wenn sie es wußten, konnten sie es den Fey verraten, falls sie gefangen wurden. Aber wahrscheinlich spielte das auch keine Rolle mehr. Mit dem Verlust von Jahn, dem Tabernakel und dem Palast gehörte die Blaue Insel jetzt den Fey. Sie würden ohnehin nach und nach alles entdecken und an sich reißen.
»Wir gehen zu den Blutklippen«, sagte er. »Das ist weit weg, und die Dorfbewohner dort haben die Macht des Palastes nie anerkannt. Sie werden sich auch den Fey nicht einfach unterwerfen.«
»’s solln komische Leut’ sein dort oben. Vielleicht wolln sie uns da nit«, wandte Yasep ein. »Jakib und ich ham noch Familie dort«, unterbrach ihn Marly. »Ihr auch, Heiliger Herr?«
Matthias schauderte es, als er sich erinnerte, wie man ihn weggejagt, ihn wieder einmal dem Tod ausgeliefert hatte.
Dämonenbrut.
Dann war er in den Tabernakel gekommen. Dort hatte man ihn akzeptiert, seinen wachen Geist und seine Wißbegierde. Sie hatten sich nicht von seiner Körpergröße abschrecken lassen und ihn so genommen, wie er war. Es war nicht seine Schuld, daß er nicht an den Roca glaubte. Er hatte es versucht.
Vielleicht zu sehr, hatte der alte Rocaan einmal gemeint. Vielleicht hätte er lieber auf die leise, ruhige Stimme hören sollen …
»Nein«, erwiderte er. »Ich habe keine Familie dort.«
Aber der Roca stammte von den Blutklippen. Dort war die Geburtsstätte des Rocaanismus, und auch viele der Geheimnisse hatten in den Blutklippen ihren Ursprung. Nachdem Matthias den Tabernakel verlassen hatte, hatte er eine Weile dort gelebt und festgestellt, daß die Einheimischen ihn in Ruhe ließen, wenn er sie in Ruhe ließ. Die Klippen ließen sich gut verteidigen und würden eine gute Bastion gegen die Fey abgeben.
Wenn Matthias nur rechtzeitig eine Waffe fand.
»Wenn wir gehen wollen«, schlug er vor, »sollten wir sofort aufbrechen.«
»So könnt Ihr nit reisen«, wandte Marly ein.
»Wenn ich hierbleibe, sterbe ich sowieso«, ächzte Matthias und erhob sich mühsam. Ob es ihnen nun paßte oder nicht, er war jetzt der Anführer dieser kleinen Bande von Strauchdieben. Seine andere Truppe, die, mit der er nach Jahn gekommen war, war aller Wahrscheinlichkeit nach tot.
Wie Titus.
Und wie auch Nicholas, bevor dieser Tag zu Ende war.
Matthias’ Herz schmerzte. Er hatte nicht erwartet, daß er für diese Leute auch nur noch den Funken eines Gefühls übrig hatte. Sie hatten nicht auf ihn gehört. Sie hatten sich mit den Fey eingelassen und alles verloren.
Er würde sich den Feinden entgegenstellen, und er würde es für sie alle tun.
Er hoffte nur, daß es noch nicht zu spät war.
37
Gefangen im eigenen Audienzzimmer. Diese Ironie des Schicksals erheiterte Nicholas nicht im geringsten. Noch nie in seinem ganzen Leben war er so wütend gewesen.
Und noch nie so hilflos.
Fast den ganzen Nachmittag hatte es so ausgesehen, als würden seine Leute siegen. Dann waren die Vögel zurückgekommen, ein Schwarm nach dem anderen, wie Rauchwolken vor einem Feuer, und voller Rachsucht. Ihre Erniedrigung hatte sie offenbar angestachelt, und sie hatten gekämpft wie wahre Ungeheuer.
Seine Wachsoldaten hatten keine Chance.
Und er hatte all das mitangesehen, zusammen mit Arianna. Arianna hatte kein Wort gesagt, nicht einmal, als die Vögel ihre Trophäen vor den Fenstern der Halle des Bauernaufstandes geschwenkt hatten.
Sebastian aber hatte geweint. Schließlich hatte ihn Arianna in den Arm genommen.
Die Fey im Zimmer hatten geschwiegen. Sie hatten das Geschehen wie etwas ganz Alltägliches betrachtet. Vielleicht hatte Matthias recht gehabt. Vielleicht besaßen sie keine Seelen.
Dann hatte Nicholas sich von dem Blutbad abgewandt, seine halbblütige Fey-Tochter angesehen und sich an seine reinblütige Fey-Gemahlin erinnert. Die Fey führten Krieg – das war ihre Natur. Sie waren wilde Geschöpfe, denen es nicht darum ging, wie angenehm sie lebten, sondern wie gut sie kämpften.
In dieser Schlacht hatte auch Nicholas gut gekämpft, aber eben nicht gut genug.
Er stand neben dem Podest im Audienzzimmer und musterte das Familienwappen. Zwei Schwerter, die sich über einem Herzen kreuzten. Wie passend war ihm dieses Bild einst erschienen, als er Jewel geliebt und Kinder mit ihr gezeugt hatte.
»Sie sind immer noch vor der Tür«, sagte Arianna leise. Sie kam zu ihm herüber und legte ihm die Hand auf den Arm. Genau
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