Fey 06: Die Erben der Macht
besaßen. Er hoffte, daß es stimmte. Die Fey hatten es verdammt nötig.
Wenn die Rotkappen sich schnell genug an die Arbeit machten.
Der Palast beeindruckte ihn. Genau wie der Tabernakel glich er einer Festung, mit Türmen und Türmchen, Toren und mannsdicken Steinmauern. Später in seiner Baugeschichte hatte man versucht, den kriegerischen Charakter zu verwischen, indem man statt der Schießscharten dekorative Fenster einsetzte. Alle späteren Umbauten deuteten auf ein Volk hin, das den Krieg nicht kannte.
Aber früher – früher hatte es jemand sehr nötig gehabt, sich zu verteidigen.
Das alles fiel Rugad schon am Portal auf. Die Torflügel öffneten sich auf mehrere Korridore, von denen einer älter aussah als die anderen. »Wo ist meine Belohnung?« fragte er.
Kropf deutete mit dem Kinn auf den Korridor, der Rugads Aufmerksamkeit erregt hatte. »Wir haben sie ins Audienzzimmer gesperrt.«
»Sie?«
»Deinen Urenkel, seine Schwester und den König.«
Rugad nickte. Er fühlte sich noch nicht bereit, den Gefangenen gegenüberzutreten. »Haben sie Widerstand geleistet?«
»Nicht sehr.« Kropf wog die Waffe in der Hand. »Sie waren so vorausschauend, uns mit Schwertern zu versorgen.«
Alte Schwerter mit stumpfen Klingen. Jewels Gemahl mochte ein guter Stratege sein, aber von Waffen schien er nicht viel zu verstehen.
»Ausgezeichnet«, lobte Rugad. »Ist Weißhaar schon hier?«
»Er ist gerade eingetroffen«, antwortete Kropf.
»Richte ihm aus, er soll einen geeigneten Ort für unser Hauptquartier aussuchen.«
»Ein paar Stockwerke höher gibt es einen geeigneten Raum«, erklärte Kropf. »Sie nennen es das Kriegszimmer. Es wurde speziell zu Verteidigungszwecken eingerichtet. Es hat nur eine Tür und keine Fenster.«
Das klang ein bißchen nach einem nichtmagischen Schattenland. Rugad nickte. »Zeig es Weißhaar. Er soll es sich ansehen und nach weiteren Möglichkeiten suchen. Dann laß die Rotkappen kommen. Bei dieser Hitze wird die ganze Bescherung am Abend zu stinken anfangen.«
»Jawohl, Herr.«
»Das Audienzzimmer befindet sich hinter diesen Türen?« fragte Rugad und streckte den Arm aus.
»Jawohl, Herr. Die großen Eichentüren auf der anderen Seite des Großen Empfangssaales.«
»Habt ihr ausreichend Wachen aufgestellt?«
»Dreifache, Herr. Ihr König scheint hinterlistiger zu sein, als wir erwartet haben.«
»Meine Urenkelin ist Gestaltwandlerin. Die Wachen sollen sich vorsehen.«
»Jawohl, Herr.«
Rugad nickte Kropf zu und entließ ihn ohne ein weiteres Wort. Dann betrat er den Raum, den Kropf als Großen Empfangssaal bezeichnet hatte.
Der Name leuchtete ihm ein. Überall auf dem Kontinent Galinas gab es Paläste mit Räumen wie diesem. Ehrwürdige Paläste, die Hunderte von Jahren vor der Invasion der Fey erbaut worden waren. Stets wurde der Große Empfangssaal als Fest- und Zeremonienraum benutzt. Rugad fuhr mit dem Finger über die Mauer. Sie war sauber, aber bröselig vom Alter. Die Fenster waren erst später hinzugekommen, und die blasigen Glasscheiben sogar waren noch neueren Datums. Rugad blickte nach oben. Die Decke war mehrmals erneuert worden. Rugad schätzte, daß sie in der ersten Bauphase des Palastes aus Stroh bestanden hatte.
Das wiederum bedeutete, daß es einmal ein Feuer oder einen Brandangriff gegeben haben mußte. Ob sie sich nun noch daran erinnerten oder nicht, die Inselbewohner hatten eine kriegerische Vergangenheit. Wirklich kriegerisch, die Sorte Krieg, die nach einer starken Verteidigung und noch stärkeren Waffen verlangte.
In diesem Saal standen noch einige Tische herum, aber sie waren bereits abgeräumt. Offenbar hatte hier das Bankett stattgefunden, das Wirbler unterbrochen hatte. Rugad wäre zu gern dabei gewesen, als der Fey mitten in ein offenbar großartiges und wichtiges Festmahl hineingeplatzt war. Vielleicht verdrängten die Inselbewohner ihre Geschichte, aber wie man einen solchen Raum nutzte, schienen sie zu wissen.
Auch Rugad würde ihn zu nutzen wissen. Vielleicht würde auch er eine Zeremonie abhalten, um den Fey seinen Urenkel vorzustellen.
Er hatte sich noch nicht entschieden, welches der Kinder er zu seinem Nachfolger machen wollte. Er würde abwarten, bis er sie persönlich kennengelernt und ihre Fähigkeiten mit eigenen Augen geprüft hatte. Er nahm an, daß der Ältere besser geeignet war, weil die Fey ihn aufgezogen hatten, aber der heutige Tag hatte Rugad gelehrt, sich nicht zu sehr auf seine Erwartungen zu verlassen.
Die Wand
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