Fey 06: Die Erben der Macht
gegenüber den Fenstern war mit Waffen geschmückt. Rugad ging um die Tische herum und blieb davor stehen. Hier hatten die Vogelreiter also diese altmodischen, schartigen Schwerter aufgetrieben. Immer noch hingen gut hundert Waffen an der Wand, manche rostig und untauglich, andere vom jahrelangen Gebrauch gezeichnet. Rugads Volk war klüger: Die Fey ließen niemals eine Waffe verkommen.
Rugad mußte lächeln. Die Inselbewohner, buchstäblich mit ihren eigenen Waffen geschlagen.
Er zupfte sein Hemd und die Hose zurecht. Trotz des wilden Rittes waren sie sauber. Während der Panik hatte es Federn und Vogelkot auf ihn geregnet, aber der Domestikenzauber hatte ihn geschützt. Bevor er den Palast betrat, hatte er sich Gesicht und Hände gewaschen, denn er wußte, daß es auch von seiner äußeren Erscheinung abhing, wieviel Macht er ausstrahlte.
Wenn er seinen Urenkeln gegenübertrat, wollte er soviel Macht ausstrahlen wie möglich. Die Gestaltwandlerin mußte er besonders im Auge behalten, denn sie war von einer der rebellischsten Fey-Frauen großgezogen worden.
Er hoffte, daß seine Leute seinen richtigen Urenkel bald fanden. Es beunruhigte Rugad, daß er sich nicht länger der Verbindungen bedienen konnte. Er mußte sich so bald wie möglich mit diesem Inselzauberer befassen.
Rugad durchquerte den Großen Empfangssaal und betrat einen schmalen Korridor. Es war schwer zu entscheiden, in welchem Raum die Gefangenen eingesperrt waren. Auf dem Korridor befanden sich einfach zu viele Fey-Wachen. Sie liefen nicht durcheinander, aber sie beobachteten alles mit unruhigen Blicken. Noch nie hatte Rugad derartig nervöse Fey gesehen.
Jewels Gemahl war wirklich gerissen. Was er nicht mit Hilfe seiner eigenen Truppen bewerkstelligen konnte, erreichte er durch Überraschung. Rugads Leute waren völlig verängstigt.
Und das sah man den Wachen auch an. Alle seine Soldaten, blutbeschmiert wie sie waren, machten ein Gesicht, als hätten sie nicht gesiegt, sondern verloren. Rugad konnte den Gedanken an einen so starken Gegner nicht ertragen. Er durfte den Inselkönig wirklich nicht unterschätzen. Wenn schon Rugad die Angst der Fey bemerkte, würde sie dem mächtigen Nicholas kaum entgehen.
Aber anders als sein Sohn lernte Rugad aus seinen Fehlern.
Statt das Audienzzimmer sofort zu betreten, wandte er der Tür den Rücken zu. Er würde selbst den Palast inspizieren und den besten Platz für ein Hauptquartier festlegen. Dann würde er die Rotkappen veranlassen, rund um den Palast mit ihrer Arbeit zu beginnen, um jedes Anzeichen der Flucht auszulöschen. Die Leichen der Inselbewohner konnten bleiben, wo sie waren, aber die Leichen der Fey mußten verschwinden oder wenigstens versteckt werden. Danach würde Rugad neue Wachen anfordern, Wachen, die nicht so verstört aussahen. Er würde dem Inselkönig gestärkt gegenübertreten und nicht das geringste Zeichen von Schwäche zeigen.
Er konnte es.
Rugad blieb stehen und salutierte im Geiste vor seinem Rivalen. Er wußte einen würdigen Gegner zu schätzen. Das hielt ihn jung. König Nicholas würde der Verlierer sein, aber erst nach einem letzten Kampf. Einem so guten Kampf, daß man fast an seinem Ausgang zweifeln konnte.
Niemand hatte sich je besser gegen die Fey zur Wehr gesetzt.
Die meisten hatten keine Gelegenheit gehabt, es überhaupt zu versuchen.
36
Er war bloß ein alter Aud, der auf die schiefe Bahn geraten war.
Seine eigenen Worte hallten in seinem Schlaf wider. Er zitterte vor Kälte und Schmerzen. Vom Liegen auf dem Steinfußboden taten ihm alle Glieder weh. Er wußte, daß Marly sich um ihn kümmerte, während er schlief, seine Verbände wechselte, ihn zudeckte und beschützte. In ihrer Gegenwart konnte er sich entspannen, auch wenn er nicht genau wußte, warum.
Er wußte nur, daß er es konnte.
Trotzdem fehlte etwas, etwas, das sein von Schlaf und Schmerzen vernebelter Geist nicht zu fassen bekam. Etwas Wichtiges. Etwas, das über Leben und Tod entscheiden konnte.
Er hätte es fast gehabt, als Stimmen ihn aus dem Schlaf rissen.
»… hab’ zuerst gedacht, sie hätten’s getan …«
»… ein Blutbad …«
»… kannste wohl sagen …«
»… noch viel schlimmer …«
Matthias blinzelte und versuchte, sich aufzusetzen. Marlys Hand lag auf seiner gesunden Schulter und drückte ihn auf das Lager zurück. Er schüttelte sie ab. Er war hungrig und durstig und litt unvorstellbare Schmerzen, aber er war nicht mehr so furchtbar erschöpft. Als er
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