Fey 07: Die Augen des Roca
diese Theorie mußte er erst noch überprüfen.
Matthias saß auf den Stufen vor seinem Haus und blickte auf die Blutklippen. Sie ragten höher auf als alle anderen Berge, die er je gesehen hatte. Sie gehörten zur Bergkette der »Augen des Roca«, die sich von den Felsenwächtern im Westen bis zu den Blutklippen erstreckte. Aber die Klippen waren einzigartig. Sie waren der höchste Punkt des Gebirgszuges, mit zerklüfteten Gipfeln, die ab einer gewissen Höhe unbezwingbar waren. Außerdem wies diese Felsformation recht ungewöhnliche Farben auf. Die Augen des Roca waren, abgesehen von den ewig schneebedeckten Gipfeln, zum größten Teil braun. Die Klippen hingegen leuchteten so rot, daß sogar der Schnee auf den höchsten Punkten ein bleiches Rosa annahm. Im Sonnenschein vertiefte sich das Rot zur Farbe glühender Kohlen, so daß es schien, als brenne ein inneres Feuer im Felsmassiv.
Manchmal spürte Matthias dieses Feuer. Nachts erwachte er mit dem plötzlichen Drang, die Berge zu besteigen, als lockten, riefen ihn die Klippen. Auch als Junge hatte er diesen Drang verspürt, und seine Mutter hatte ihn körperlich zwingen müssen, den Bergen fernzubleiben, jenen Bergen, die ihm eines Tages, so glaubte Matthias, vielleicht sogar den Tod bringen würden.
Trotzdem liebte er die Klippen. Er liebte ihre Rätselhaftigkeit, ihre Gefahr und die Geheimnisse, die sie hüteten. Die Höhlen an den Klippen bargen zahlreiche Schätze, wie jenes Varin, aus dem er das Schwert herstellen wollte. Die Pflanzen an der niedrigeren Seite des Berges wuchsen fast ausschließlich in dieser Region. Nur wenige, wie Seze, das zur Herstellung von Weihwasser verwendet wurde, konnte man auch an anderen Stellen finden, zum Beispiel in den im Süden der Insel gelegenen Kenniland-Sümpfen. Diese Ingredienz hatte eine tödliche Wirkung auf die Fey.
Es war kühl so früh am Morgen. Die Sonne verbarg sich noch hinter den höchsten Gipfeln, aber der Himmel war schon hell. In dieser Gegend waren die Tage kurz. Der Morgen brach später an als in den anderen Regionen der Insel, bot aber dafür ein atemberaubendes Schauspiel. Kein Sonnenaufgang glich dem anderen, jeder Sturm, der über die Bergkette fegte, war von einzigartiger Kraft und majestätischer Würde.
Matthias hatte vergessen, wie sehr er diese Landschaft vermißt hatte. Er war nur zwei Monate weg gewesen, und doch hatte ihm etwas gefehlt.
Im Haus waren jetzt erste Geräusche zu vernehmen. Wahrscheinlich Denl. Denl war der einzige in jener seltsamen Gruppe, die Matthias hier hergeführt hatte, der religiöse Gefühle hatte. Er redete Matthias mit Heiliger Herr an, obwohl Matthias ihn gebeten hatte, es nicht zu tun, doch Denl konnte einfach nicht über die Tatsache hinwegsehen, daß er mit dem Einundfünfzigsten Rocaan unterwegs war.
Als sie vom Tod des Zweiundfünfzigsten Rocaan gehört hatten, war es Denl gewesen, der gesagt hatte, jetzt sei Matthias wieder Rocaan. Genaugenommen hatte Denl behauptet, dies sei Gottes Weise, Matthias zu zeigen, daß er immer Rocaan geblieben war.
Wie kann einer eigentlich aufhörn, der Gottgefällige zu sein? hatte Denl gefragt, und in seinem Innersten fürchtete Matthias, daß Denl recht hatte.
Es würde noch dauern, bis Denl aus dem Haus kam. Er mußte zuerst beten und dann frühstücken. Matthias hatte auf dieser einwöchigen Reise einiges über die Gewohnheiten der Gruppe erfahren. Die Denis waren besonders vorhersehbar.
Matthias’ Gewohnheiten dagegen änderten sich täglich.
Erst vor wenigen Minuten hatten ihn die Schmerzen geweckt. Vor neun Tagen hatte ihm eine Fey tiefe Stichwunden an Gesicht und Schulter zugefügt, die ihn fast das Leben gekostet hatten. Die Narben entstellten sein Gesicht. Nachdem die Gruppe aus Jahn geflohen war, hatte Matthias in den spiegelnden Wellen des Cardidas zum ersten Mal gesehen, wie übel man ihn zugerichtet hatte. Lange, gezackte Schnitte liefen von der Stirn bis zum Kinn. Marly, die einzige Frau der Gruppe, kannte sich ein wenig in der Heilkunst aus und hatte die Wunden genäht. Sie hatte ihn gewarnt, daß die Einstiche auf beiden Seiten der Narben für immer zu sehen sein würden. Matthias war für den Rest seines Lebens innerlich und äußerlich von den Fey gezeichnet.
Den wahren Abkömmlingen der Dämonen, obwohl Nicholas nicht auf Matthias’ Worte hören wollte. Nicholas, der eine Fey geheiratet, Kinder mit ihr gezeugt und die Erbfolge des Roca durch seelenlose Dämonen schändlich unterbrochen hatte.
Weitere Kostenlose Bücher