Fey 07: Die Augen des Roca
er sich schutzlos zur Schau gestellt. Normalerweise brannten an Orten, die Menschen erbaut hatten, Fackeln, oder ein Feuer prasselte im Kamin, so daß Feder sich jederzeit als Funke tarnen konnte. Dann bemerkte ihn niemand. Sollte er hier jemandem begegnen, würde derjenige einen vereinzelten Lichtpunkt ausmachen, der alleine und zielgerichtet flog. Das könnte zu der Annahme führen, daß es sich um einen Fey handelte, und man würde ihn mit bloßen Händen zerquetschen.
Seine Mutter war auf diese Art ums Leben gekommen. Ein Kaufmann in Nye hatte sie wie eine Mücke totgeschlagen. Feder war dabeigewesen und wäre um ein Haar auf dieselbe Weise getötet worden. Er hatte immer noch Alpträume von Riesen, deren Hände sich um ihn schlossen, und von den kurzen Sekunden, bevor der Schmerz einsetzte.
Er schüttelte diese Gedanken ab. Seine Aufgabe bestand darin, diese Tunnel bis zu ihrem Ende zu erforschen, und genau das würde er tun. Er hatte keinen Proviant dabei, aber er hatte viele Gänge gesehen, die seitlich abzweigten und außerdem noch ein paar verborgene Türen. Er nahm an, daß er schnell ins Freie gelangen konnte, wenn er eine Stärkung benötigte. Die Fey hielten Jahn besetzt. Es war kein Problem, einen Ort zu finden, wo man Essen und Trinken bekam.
Der Tunnel verlief jetzt schräg nach oben, und Feder meinte, schon den rostigen Gestank des Flusses in der Nase zu haben. Er hörte Echos. Zuerst hielt er es für Wellen, die gegen Mauern schwappten, aber dann begriff er, daß es sich um Stimmen handelte.
Flüsternde Stimmen.
Feders Nackenhaare stellten sich auf, und sein Flügelschlag wurde unregelmäßiger. Er streifte schon fast den Boden, bevor es ihm gelang, sich von seinem Schrecken zu erholen.
Warum sollte hier unten jemand flüstern?
Weil er befürchtete, entdeckt zu werden.
Aber von wem?
Diese Tunnel sahen verlassen aus, und Feder hatte kein anderes Geräusch bemerkt. Selbst wenn er etwas gehört hätte, wäre er davon ausgegangen, daß es die Fey waren, die in den Straßen über ihm ihren üblichen Tätigkeiten nachgingen.
Er hatte nichts gehört.
Bis zu diesem Augenblick.
Er kam dem Flüstern eindeutig näher. Trotz seiner Abneigung gegen Spinnweben flog Feder bis an die Decke des Tunnels und drosselte dann seine Fluggeschwindigkeit. Er wollte keinesfalls bemerkt werden. Er wollte nur beobachten.
Er bog um die Ecke und befand sich in einer großen Höhle. Wäre er der Decke nicht so nahe gewesen, hätte er wahrscheinlich nicht bemerkt, daß es sich dabei um eine von Menschen gebaute Höhle handelte. Aber so war es. Jeder Ziegelstein hier war von Hand eingefügt worden. Viele davon waren feucht. Der Fluß befand sich in nächster Nähe, und an den Wänden rann Wasser herab.
Das überraschte Feder nicht besonders. Was ihn aber beinahe aus der Fassung gebracht und in die Flucht geschlagen hätte, war die plötzliche Übermacht von Schwarzkitteln. Obwohl Rugads Hüter das Gift der Schwarzkittel unschädlich gemacht harten, waren Feder doch einige Geschichten zu Ohren gekommen. Er wußte, daß dieses Gift einen Fey mit einer einzigen Berührung zum Schmelzen brachte. Er wußte auch, daß man ihm ein Gegengift verabreicht hatte. Er fürchtete jedoch, daß die Schwarzkittel noch ein paar ähnliche Tricks auf Lager hatten, die sie nur bei Rugads blitzschnellem Überraschungsangriff auf ihre Festung nicht hatten einsetzen können.
Jetzt waren sie in dieses Versteck geflohen. Etwa einhundert Schwarzkittel, vielleicht auch mehr, die das Weihwasser in Kisten an den Wänden stapelten, eingehüllt in den durchdringenden Modergeruch des Flusses.
Der Schwarze König würde über diese Entdeckung sehr erbaut sein. Er würde keinen Moment zögern, die Zuflucht zu zerstören, genau wie er vor zwei Wochen die Festung der Schwarzkittel dem Erdboden gleichgemacht hatte.
Feder wußte genug. Den Rest der Tunnel würde er später erforschen. Dem Schwarzen König durfte diese Entdeckung nicht länger vorenthalten werden.
Feder wollte sich gerade umdrehen, als er ein Flüstern vernahm.
»…verschwunden«, sagte eine Stimme in Inselsprache. Feders Kenntnis dieser Sprache war bei seiner Ankunft hier nur mittelmäßig gewesen, aber im letzten Monat hatte er große Fortschritte gemacht. »Ich bin aufgewacht, und Con war verschwunden. Die Auds sagen, er sei mit dem Sohn des Königs auf und davon.«
Der Sohn des Königs. Als Feder das hörte, spitzte er die Ohren.
Natürlich. Wenn der Junge sich hier versteckt
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