Fey 07: Die Augen des Roca
hatte.
Sebastians große Hände senkten sich auf Cons Schulter, fest, solide, schwer. Sebastian verlagerte sein Gewicht auf Con und rutschte mit den Beinen vor. Con war außerstande, mehr zu tun, als darauf zu achten, daß er nicht rückwärts taumelte.
Es schien ewig zu dauern, bis Sebastian endlich den Boden erreicht hatte. Er stand da wie ein Kind, das stolz darauf ist, nicht hingefallen zu sein. Er ließ die Hände auf Cons Schulter liegen und lächelte.
»Wir … haben … es … geschafft«, sagte Sebastian.
»Na ja, wir haben den Fluß überquert«, stimmte ihm Con zu. »Aber ich weiß nicht, wie weit diese Tunnel noch reichen. Der Tabernakel ist nicht weit von hier. Wo sind denn deine Freunde?«
»Im … Süden«, antwortete Sebastian. Er blinzelte und fügte hinzu: »Ein … Tagesmarsch … für … dich.«
»Und für dich?« fragte Con und wunderte sich, woher Sebastian, der doch niemals den Palast verlassen hatte, das alles wußte. Diese geborgten Erinnerungen waren äußerst verstörend. Aber schließlich war alles an Sebastian verstörend. Besonders seine Anhänglichkeit. Con wünschte, Sebastian würde die Hände wegnehmen, wagte aber nicht, ihn darum zu bitten, aus Angst, ihn zu verletzen.
Langsam löste Sebastian die Hände von Cons Schultern, als habe er dessen Gedanken gelesen. Aber das war doch wohl unmöglich, oder? Con schauderte erneut. Vielleicht war Sebastian ja auch dazu imstande. Er besaß viele Fähigkeiten, die Con beunruhigten.
»Ich … weiß … nicht«, erwiderte Sebastian. Undeutlich zeichneten sich seine großen Umrisse im Halbdunkel ab. Glücklicherweise konnten sie hier aufrecht stehen. Cons Rücken schmerzte vom langen Kriechen.
Con überlegte. Es war lange her, seit er zum letzten Mal außerhalb Jahns gewesen war. Sebastian hatte ihm erzählt, wo der Bauernhof lag. In seiner bedächtigen, umsichtigen Art, an die Con sich erst langsam gewöhnen mußte, hatte Sebastian ihm den gesamten Weg beschrieben, für den Fall, daß sie getrennt werden würden. Sebastian hatte an alles gedacht. Er war gar nicht schwer von Begriff, wie es immer hieß, sondern einfach nur in allem sehr langsam: seine Bewegungen, sein Sprechen, sein Handeln.
»Ich glaube nicht«, sagte Con, »daß wir schnell vorankommen können. Wir müssen herausfinden, wo die Tunnel hinführen, und ihnen soweit folgen. Ich will nicht zu früh ins Freie. Die Fey sind überall, und sie sind auf der Suche nach dir.«
»Und … dir«, erwiderte Sebastian leise.
Con runzelte die Stirn. Er war sich dessen nicht so sicher. Er wußte aber genau, daß die Fey die Rocaanisten fürchteten. Soviel hatte er von den Überlebenden auf der anderen Seite des Flusses aufgeschnappt. Sie sagten, die Fey glaubten, daß die Rocaanisten noch über mehr »Magie« verfügten als das Weihwasser und einen Weg finden würden, die Fey zu vernichten.
Con verfügte in der Tat über mehr Magie. Das Schwert, das gegen sein Bein lehnte. Aber die Waffe hatte nichts mit den Rocaanisten zu tun. Er hatte sie im Palast gefunden. Er fragte sich, was dort noch alles sein mochte, direkt vor der Nase des Schwarzen Königs.
Con ergriff das Schwert. »Gehen wir weiter«, sagte er.
Sebastian nickte. Con ließ ihn vorangehen. Er wollte Sebastian nicht in der Dunkelheit verlieren.
Je weiter sie gingen, desto widerlicher roch es. Der abgestandene Rauchgestank wurde immer stärker. Cons Augen brannten. Der Rauch hatte sich mit etwas anderem vermischt, etwas, das älter und primitiver war. Cons Nackenhaare sträubten sich.
Tod.
Es roch nach Tod hier unten.
Er zwang sich zu schlucken. Natürlich roch es verwest. Oben mußten Leichen liegen, und ihre Ausdünstungen drangen bis hier unten. Aber schon während er sich diese Erklärung zurechtlegte, wußte er, daß sie falsch war.
»Stinkt … hier«, äußerte Sebastian.
»Ich weiß«, gab Con zurück. Sie bogen um die einzige Ecke, und Sebastian blieb abrupt stehen. Con trat neben ihn. Quer über dem Gang lag eine Leiche. Sie war nicht mehr zu identifizieren. Sie war seit zwei Wochen hier unten verwest.
»Wir müssen um die Leiche herumgehen«, sagte Con.
Sebastian packte Cons Arm. »Hier … sind …noch … mehr. Ich … rieche … sie.«
»Ich auch«, antwortete Con. »Aber wir müssen es trotzdem versuchen.«
Vorsichtig, ohne sie mit den nackten Füßen zu berühren, ging er um die Leiche herum. Sebastian machte es genauso, stützte sich dabei aber schwer auf Con, um das Gleichgewicht nicht zu
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