Fey 09: Die roten Klippen
glaubte Gabe, sie werde die Hand zurückziehen. Dann begriff er plötzlich, daß sie auf seine Reaktion wartete. Er zog sie näher an sich heran und legte die Arme um sie. Sie war dünn, viel dünner, als er erwartet hatte. Er spürte jede Rippe und jeden Knochen. Arianna brauchte Essen, Ruhe und Zuneigung.
Ihr Vater konnte ihr nicht alles geben.
Gabe wußte nicht, woher diese Gedanken kamen, aber er spürte, daß es gute und richtige Gedanken waren. Konnte Arianna ihn auf dieselbe Weise spüren? Sie stand reglos, ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter. Da sie beide gleich groß waren, mußte sie sich dabei ein wenig nach vorne beugen.
Leen kniff die Augen zusammen, und Coulter runzelte die Stirn. Gabes Vater stierte immer noch abwesend vor sich hin.
»Ist ja alles sehr hübsch und rührend anzusehen«, meldete sich jetzt Fledderer, »aber während ihr meint, jetzt sei der richtige Zeitpunkt für die große Familienkrise gekommen, ist das mächtigste Mitglied dieser Gruppe soeben zu Boden gegangen.«
Ohne den Kopf zu heben, löste sich Arianna aus der Umarmung und wischte sich so unauffällig die Tränen aus den Augen, daß Gabe es gar nicht bemerkte hätte, wäre er ihr nicht so nahe gewesen.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Tut mir leid.«
Sie hörte sich völlig zerknirscht an. Gabe stellte überrascht fest, das Arianna über eine ganze Skala von Empfindungen verfügte, genau wie Sebastian es ihm immer versichert hatte.
Vielleicht hatte er nur das gesehen, was er sehen wollte.
»Ich glaube, Jewel ist an allem schuld«, ließ sich Adrian hören.
»Bei allen Mächten, kann keiner von euch diesen Trottel zum Schweigen bringen?« erklang eine Stimme hinter Gabe. Er und sein Vater drehten sich um. Jewel saß auf den Stufen. Sie trug immer noch Wams und Hose, das Haar war zu einem langen Zopf geflochten. Sie sah etwas älter aus, mit Fältchen im Gesicht und grauen Strähnen im Haar.
Gabe runzelte die Stirn.
Er konnte durch Jewel hindurchsehen.
»Mutter?« fragte er im selben Augenblick, als sein Vater keuchte. »Jewel?«
»Wo?« sagte Arianna.
»Ach, Kleine«, seufzte Jewel und warf einen Blick auf Arianna. »Es tut mir so leid.«
»Sie kann dich nicht hören«, bemerkte Gabe.
Seine Mutter lächelte. »Das weiß ich.«
»Sie kann mich nicht hören?« wollte Arianna wissen.
»Nein«, erwiderte Gabe. »Ich habe mit unserer Mutter gesprochen. Sie hat sich bei dir entschuldigt.«
»Was ist geschehen, Jewel?« fragte Nicholas, und trat neben sie. Als er versuchte, Jewel zu berühren, ging seine Hand durch sie hindurch. Überrascht blickte er sie an.
»Sagt dem Idioten, er soll aufhören, mich zu beschuldigen, und statt dessen das Verdienst seinem Sohn anrechnen«, gab Jewel zurück.
»Luke?« sagte Gabe überrascht. Er zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Er hatte Luke kurz gesehen, wie er von einer brennenden Scheune weglief.
»Was hat sie ihm diesmal angetan?« fuhr Adrian auf. Er machte Anstalten näher zu kommen, aber Coulter packte ihn und hielt ihn fest. Die Bewegung wirkte schwach, als bereite sie Coulter Schmerzen.
»Sie hat nichts getan«, antwortete Gabes Vater, ohne Adrian anzusehen. »Sie ist anders, als du denkst.«
»Dasselbe könnte ich zu dir sagen«, erwiderte Adrian.
Jewel schnaubte leise und funkelte Adrian böse an. »Dieser Mann versteht nichts von Kriegsführung. Ich habe ihm einen Gefallen getan. Normalerweise hätten wir alle drei Gefangenen langsam und qualvoll getötet.«
Nicholas rückte näher an Jewel, berührte sie aber nicht. Er sah nicht mehr so verstört aus, und Gabe bemerkte, mit welch angespannter Aufmerksamkeit der König seine Frau beobachtete. Arianna war das Verhalten ihres Vaters offenbar auch nicht entgangen.
»Was geht hier vor?« wollte sie wissen.
»Mein Sohn«, erkundigte sich Adrian beinahe gleichzeitig, »geht es ihm gut?«
»Ja«, sagte Jewel. König Nicholas schwieg. Gabe seufzte leise. Dann beschloß er, den Übersetzer für seine Mutter zu spielen.
»Es geht ihm gut«, beruhigte Gabe.
Adrian sank vor Erleichterung ein wenig in sich zusammen und mußte sich an Coulter festhalten.
»Er hat viele magische Beutel verbrannt«, erklärte Jewel. Gabe übersetzte, ohne die Bedeutung ihrer Worte zu erläutern. Schließlich hatte Adrian fünf Jahre bei den Fey gelebt. »Er hat eine ganze Scheune entdeckt, in der sich ein großes Lager befand, und er hat sie verbrannt. Das hat eine gewaltige Explosion verursacht, die die Magie der Insel
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