Fiasko
gehen sollte.
Diese Sicherung der Kundschafter vor kollektiver Geistesverwirrung barg allerdings die Gefahr eines geradezu unüberwindlichen Widerspruchs. GOD sollte demnach gleichzeitig Untergebener und Oberhaupt der Crew sein, er sollte Befehle ausführen und den Geisteszustand der Befehlsgeber überwachen. Damit erhielt er den Status eines folgsamen Instruments und eines apodiktischen Vorgesetzten. Von seiner ständigen Kontrolle war auch der Kommandant nicht ausgenommen. Das Problem steckte darin, daß das Wissen von einer Aufsicht, die rechtzeitig geistige Traumata aufdecken sollte, selbst zu einem Trauma wurde. Dagegen fand aber niemand ein Heilmittel. Hätte GOD diese Funktion ohne Wissen der Menschen ausgeübt, so hätte er sich spätestens dann verraten müssen, wenn er die Überwachten über die von ihm konstatierten Abweichungen unterrichtete — dies aber wäre keine Psychotherapie, sondern ein Schock gewesen. Der Teufelskreis hatte sich nicht anders durchbrechen lassen als durch eine Rückkopplung der Verantwortlichkeit von Mensch und Computer. GOD übermittelte, wenn er es für notwendig hielt, seine Diagnose zuerst dem Kommandanten und Gerbert und blieb damit Berater ohne weitere Initiative. Natürlich akzeptierte diesen Kompromiß niemand mit Begeisterung, aber niemand, die seelen- und geisteskundlichen Maschinen eingeschlossen, fand einen besseren Ausweg aus dem Dilemma. GOD, ein Computer der letztmöglichen Generation, war keinen Emotionen unterworfen, er war ein zu höchster Potenz getriebener Extrakt rationalen Tuns ohne Beimischung von Affekten, ohne Reflexe des Selbsterhaltungstriebs. Er war kein elektronisch vergrößertes menschliches Gehirn, ihm fehlte jedwedes Per-sönlichkeits- oder Charaktermerkmal und jedwede Leidenschaft, es sei denn, man wolle als solche das Streben nach einem Maximum an Information — nicht an Macht! — ansehen.
Die ersten Erfinder von Maschinen, die die Kraft nicht der Muskeln, sondern des Denkens verstärkten, erlagen der für die einen anziehenden, für die anderen aber erschreckenden Täuschung, sie seien auf dem Wege zu einer solchen Vergrößerung der Intelligenz toter Automaten, daß diese dem Menschen ähnlich und schließlich — immer auf menschliche Weise — überlegen würden. Es brauchte etwa anderthalb Jahrhunderte, bis die Nachkommen sich überzeugten, daß die Väter von Informatik und Kybernetik einer anthropozentrischen Fiktion aufgesessen waren: Das menschliche Gehirn ist Geist in einer Maschine, die keine Maschine ist. Indem das Gehirn ein untrennbares System mit dem Körper bildet, dient es diesem und wird zugleich von ihm bedient. Wollte man also einen Automaten so vermenschlichen, daß er sich in psychischer Hinsicht nicht von den Menschen unterscheidet, so erwiese sich dieser Erfolg bei all seiner Vollkommenheit als Absurdum. Im Zuge unerläßlicher Umgestaltungen und Vervollkommnungen erweisen sich die aufeinanderfolgenden Prototypen tatsächlich immer menschenähnlicher, gleichzeitig hat man aber immer weniger einen Nutzen, wie ihn die Computer höherer Generationen mit ihren Giga- oder Terabits bieten.
Den einzigen wesentlichen Unterschied zwischen dem Menschen, der von Vater und Mutter stammt, und der ideal vermenschlichten Maschine bildet lediglich der Baustoff, der das eine Mal lebendig, das andere Mal tot ist. Der vermenschlichte Automat ist genauso scharfsinnig, aber auch genauso unzuverlässig, hinfällig und in seinem Intellekt von Emotionen und Stimmungen gesteuert wie der Mensch. Als meisterhafte Nachahmung eines Ergebnisses der natürlichen Evolution, deren Krönung die Anthropogenese war, wird es eine hervorragende technologische Leistung, zugleich aber eine Kuriosität sein, mit der niemand etwas anfangen kann. Es handelt sich um ein perfekt aus nichtbiologischem Material hergestelltes Falsifikat eines Lebewesens vom Typ der Wirbeltiere, aus der Klasse der Säuger, der Familie der Primaten, die lebendgebärend sind, auf zwei Beinen gehen und ein zweigeteiltes Gehirn haben, weil eben auf diesem Wege der Symmetrie die Herausbildung der Wirbeltiere innerhalb der Evolution auf der Erde erfolgt ist. Nur weiß man nicht, welchen Nutzen die Menschheit aus diesem so genialen Plagiat ziehen könnte. Ein Historiker der Wissenschaft verglich es mit dem Bau einer Fabrik, in der sich nach kolossalen Investitionen und theoretischen Arbeiten Spinat oder Artischocken herstellen ließen, die zur Photosynthese fähig seien
Weitere Kostenlose Bücher