Fiasko
Kabinendecke befindlichen — einzigen — Monitor das holographische Bild des zu durchquerenden Gebiets, schaltete die Azimutanzeige mit der Projektion der zum Gral führenden Route ein und machte sich, jeder Schritt zwölf Meter lang, auf den Weg.
Es gibt zwei Arten von Landschaften, die den näheren Planeten der Sonne eigentümlich sind: zweckdienliche und verwüstete. Zweckdienlich eingerichtet ist jede Landschaft der Erde als eines Planeten, der Leben hervorgebracht hat — dort nämlich hat alles einen dem Gebrauch angemessenen Sinn. Gewiß, es war nicht immer so, aber Jahrmilliarden organischer Arbeit haben das Ihre getan: Die Farben der Blüten sind dazu da, Insekten anzulocken, die Wolken dazu, Weideplätze und Wälder mit Regen zu bewässern. Jede Form und jede Sache wird dort durch jemandes Nutzen erklärt, während das, was wie die Gletscher der Antarktis oder kahle Gebirge eines solchen Nutzens offenkundig entbehrt, eine Enklave der Wüste darstellt, eine Ausnahme von der Regel, wildes, wenn vielleicht auch reizvolles Brachland, wobei das nicht gewiß ist, denn der Mensch, der den Lauf von Flüssen umkehrt, um dürres Land fruchtbar zu machen, oder die Polkappen erwärmt, zahlte für die Verbesserung der einen Landstriche mit der Versteppung anderer und verletzte damit das klimatische Gleichgewicht der Biosphäre, das durch die entwicklungsgeschichtliche Mühsal des Lebens nur scheinbar unzulänglich herausgearbeitet und reguliert worden war. Die Schlünde des Ozeans dienten den Geschöpfen der Tiefsee nicht durch das Dunkel, das vor Angriffen schützte, damit sie es gemäß dem Bedarf an Luminiszenz erhellten, sondern umgekehrt: Diese Finsternis rief ebensolche dem Druck widerstehende und leuchtende Schwimmer ins Leben. Auf den von Leben strotzenden Planeten kommt nur unter der Oberfläche, in Höhlen und Grotten schüchtern diejenige Schöpferkraft der Natur zu Wort, die nicht in den Dienst der Anpassung gespannt, nicht durch den Kampf ums Dasein in ihren Werken beschnitten ist und mit unendlicher Geduld, in Jahrmilliarden währender Konzentration durch Tropfen gerinnender Salzlösungen die phantasmagorischen Wälder der Stalaktiten und Stalagmiten schafft. Das ist auf solchen Himmelskörpern jedoch nur ein versteckter Winkel der planetaren Arbeiten, festverschlossen durch Felsgewölbe und allein deshalb unfähig, seine Intensität zu offenbaren. Daher der Eindruck, solche Orte seien nicht Normalität der Natur, sondern Brutstätten für monströse Randerscheinungen mit dem Recht der Ausnahme von der Regel des Chaos.
Ausgetrocknete Planeten wie Mars oder Merkur wiederum sind dem beißenden Sonnenwind ausgesetzt, diesem verdünnten, aber unaufhörlich wehenden Hauch des Muttergestirns, ihre Oberfläche ist tote Wüste, denn die Glut vernichtet alle emporwachsenden Formen, um sie in Asche zu verwandeln und damit die Schüsseln der Krater zu füllen. Erst dort, wo ewiger und friedlicher Tod herrscht, wo weder Sieb noch Korn der natürlichen Auslese am Werk sind, um jedes Geschöpf nach den Erfordernissen des Überlebens zu formen, erst dort bietet sich Raum für erstaunliche Werke der Materie, die nichts nachahmt, niemandem Untertan ist und nach menschlicher Ansicht alle Grenzen menschlicher Phantasie hinter sich laßt.
Ebendarum waren auch die phantastischen Landschaften des Titan eine solche Überraschung für die ersten Erforscher. Die Menschen hatten Ordnung mit Leben, Unordnung mit langweiliger Öde für identisch gehalten. Man mußte auf den äußeren Planeten, auf dem Titan, ihrem größten Mond, gestanden haben, um die ganze Irrigkeit dieser apodiktischen Diagnose zu erkennen. Die Wunderdinge des Titan, ob sie nun relativ harmlos oder aber heimtückisch sind, sehen von weitem und von oben wie gewöhnliche chaotische Trümmerfelder aus. Ganz anders aber stellen sie sich dar, wenn man den Boden betritt. Die schreckliche Kälte des Raums, in dem die Sonne zwar noch scheint, aber nicht mehr wärmt, hat sich für die Kreativität der Materie nicht als Würgerin, sondern als Sporn erwiesen. Sie hat sie wohl gedrosselt, ihr aber gerade dadurch Raum zur Betätigung gegeben, ihr nämlich die Dimension geboten, die für eine von Leben unberührte und nicht von der Sonne verglühte Natur unerläßliche Voraussetzung ihres in die Ewigkeit gerichteten Schöpfertums ist: die Zeit, in der es keinerlei Bedeutung hat, ob ein oder zwei Millionen Jahrhunderte vergehen. Stoff der Natur sind hier
Weitere Kostenlose Bücher