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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Splitter versiegten und die vom Kryotainer gelöste Glocke ihnen ihr leeres Inneres zukehrte. Lakatos ließ sie von dem vierhebligen Manipulator unter die Decke heben, und Biela wollte sich erneut über den Behälter machen, als alle unwillkürlich erstarrten: Die Bleche rissen längs der Nahtstellen zitternd ab und fielen auf die Plattform, als wollten sie die Agonie wiederholen, die sie schon einmal durchgemacht hatten.
       Die ferngesteuerten Greifbacken trugen die schwere Haube wie die Hälfte einer leeren Bombe ans andere Ende des Raums und setzten sie dort so behutsam auf eine Aluminiumplatte, daß nicht das geringste Geräusch hörbar wurde. Biela trat an den geöffneten Behälter. Drinnen hingen in vertrockneten Schichten wie verwelkte oder verbrannte Blätter die dunklen Reste der Innenverkleidung. Lakatos guckte ihm über die Schulter. Er kannte sich in der Geschichte der Vitrifizierung einigermaßen aus. Zur Zeit von Gral und Roembden wurde die Haube von Sprengladungen über den Behälter mit dem Menschen geschossen, damit der Prozeß der kristallinfreien Vereisung möglichst rasch ablaufen konnte. Der Verifizierte mußte den Helm abnehmen, blieb aber im Raumanzug. Damit der Schlag ihm nicht den Schädel zermalmte, war die Haube mit pneumatisch aufblasbaren Kissen ausgepolstert. Durch ihr Platzen schützten sie den Einzufrierenden, dem eine in den Mund gestoßene Spritze flüssigen Stickstoff einpumpte, damit das Gehirn von allen Seiten zugleich, also auch von der über dem Gaumen liegenden Basis her, gerann. Dabei gingen gewöhnlich die Zähne oder gar die ganzen Kiefer kaputt, aber diese Verletzungen ließen sich bei der damaligen Technik nicht ausschließen.
       Die Physiker rissen die Schichten des brüchigen Materials herunter und legten eine neben die andere, bis die Geräte den Metallboden des Kryotainers bloßgelegt hatten. Unter den morschen Aschekrusten stießen sie auf einen ebenfalls zerquetschten Gegenstand von der Form eines kleinen Buches, dessen Ecken angesengt waren wie durch Feuer. Das halb verkohlte Ding war so mürbe, daß bei jeder Berührung die Asche stiebte. Sie legten es unter einen Glassturz, denn schon ein Luftzug hätte ihm schaden können. „Sieht aus wie ein kleines Futteral, vielleicht sogar aus Leder.
       Eine Brieftasche. So was trugen die Leute damals bei sich. Die Dokumente waren vorwiegend aus Zellulose, die man zu Papier verarbeitet hatte.“
     
       „Oder aus Polymeren“, ergänzte Gerbert die Worte Bielas.
       „Das eine ist so wenig ermutigend wie das andere“, erwiderte der Physiker,
       „Zellulose war unter diesen Bedingungen nicht widerstandsfähiger als die alten Plastik. Wie ist das in diesen Pott gekommen?“
       „Das kann man sich leicht vorstellen.“ Lakatos bewegte die offenen Hände aufeinander zu. „Als er den Kontakt auslöste, stieg ihm die untere Glocke über die Beine bis an die Brust, zugleich wurde die obere herabgeschossen, um sich auf die untere zu pressen. Es waren Implosionsladungen, natürlich nicht solche, die den Menschen zermalmt hatten. Der Stickstoff füllte den Raumanzug, daß dieser unter den Achseln barst, und die unter Druck entweichende Luft kann dem Mann die Kleidung vom Leibe gerissen haben. So hat der Luftstoß von Granaten bei nahern Einschlag zuweilen Soldaten entblößt…“
       „Was machen wir damit?“
       Gerbert sah zu, wie die Physiker den Glassturz mit einer gerinnenden Flüssigkeit füllten, das entstandene Gußstück, in dem der schwarze Fetzen wie ein Insekt im Bernstein steckte, herausnahmen und sich an die Analysen machten. Sie entdeckten Chemikalien, die einst zur Herstellung von Banknoten benutzt wurden, organische Verbindungen, die für gegerbte und gefärbte tierische Häute typisch waren, sowie winzige Spuren von Silber, sicherlich Reste von fotografischen Aufnahmen, denn dazu hatten Silbersalze gedient. Nachdem sie den Gegenstand haltbar gemacht und aus dem Gußstück genommen hatten, änderten sie die Härte der Strahlung und holten schließlich noch ein abstruses Palimpsest heraus — eine verworrene Mischung von Buchstaben und kleinen Kringeln, vielleicht ein Stempel. Der Chromatograph unterschied Schatten gedruckter Schrift von Tintenresten, denn letztere hatten glücklicherweise eine mineralische Beimischung. Die Filter des Mikrotomographen übernahmen das übrige, aber das Ergebnis war bescheiden. Sollte man, was wahrscheinlich war, tatsächlich den Personalausweis

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