Fiasko
erstes Zeichen von außen hörte er auch jemanden reden. Sein Gehör hatte sich geöffnet, er wußte, daß zwei Menschen miteinander sprachen, denn er unterschied zwei Stimmen, aber er verstand nicht, was sie sagten. Die Sprache war ihm bekannt, aber alles klang gedämpft, die Worte waren undeutlich wie Gegenstände, die man durch eine beschlagene Scheibe oder durch Nebel betrachtet. Je mehr er sich konzentrierte, um so schärfer wurde sein Gehör, und sonderbar: Durch das Gehör gelangte er über sich hinaus. Dadurch befand er sich in einem Raum, der ein Unten und Oben, ein Rechts und Links hatte. Er konnte sich eben noch vergegenwärtigen, daß dies die Schwerkraft bedeutete, dann konzentrierte er sich ganz auf sein Gehör. Die Stimmen gehörten Männern, eine höhere und leisere, die andere tiefer, ein Bariton. Scheinbar ganz nahe bei ihm. Wer weiß, vielleicht könnte er etwas sagen, wenn er es nur versuchte? Doch erst wollte er zuhören, nicht nur aus Neugierde und Hoffnung, sondern auch deswegen, weil es eine Lust war, so gut zu hören und alles immer besser zu verstehen.
„Ich würde ihn noch im Helium lassen.“ Das war die Stimme ganz in der Nähe, in der so viel Kraft lag, daß sie an einen großen, stark gebauten Mann denken ließ. „Ich nicht“, sagte der Jüngere, entfernter Stehende. „Warum nicht? Das schadet doch nicht.“
„Schau dir sein Gehirn an. Nein, nicht die Calcarina, den rechten Temporallappen. Das Wernicke-Zentrum. Siehst du? Er hört uns schon.“
„Die Amplitude ist klein, ich bezweifle, daß er uns versteht.“
„Schon beide Stirnlappen, eigentlich ist das die Norm.“
„Ich sehe.“
„Alpha war gestern fast gar nicht.“
„Weil er in der Hibernation war. Das ist normal. Ob er nun versteht oder nicht, es ist immer noch zuviel Stickstoff. Ich gebe Helium zu.“ Lange Stille und weiche Schritte. „Warte — guck mal!“ Das war der Bariton. „Er ist wach… Na also…“ Mehr hörte er nicht, es wurde geflüstert. Er gewann die innere Klarheit der Gedanken zurück. Wer sprach da? Ärzte. Hatte ich einen Unfall? Wer bin ich?
Er dachte immer rascher, und die anderen flüsterten hastig und fielen einander ins Wort. „Prima, frontal einwandfrei… Mit dem Thalamus stimmt was nicht…
Schalt mal runter… Ich sehe da nicht klar. Schalt den Äskulap ein! Oder lieber den Medicom! Ja, stell das Bild schärfer. Was ist mit dem Rückenmark?“
„Fast auf Null. Komisch.“
„Komisch ist eher, daß es nicht ganz auf Null steht. Zeig das Atemzentrum! Mhm…“
„Wecken?“
„Nein, wozu? Er wird von selber noch genug Luft holen. So ist es sicherer. Nur oberhalb des Chiasmas…“ Es gab einen kurzen Klang.
„Er sieht nicht“, sagte verwundert die jüngere Stimme. „Die Neun funktioniert schon bei ihm, und gleich werden wir uns überzeugen, ob er etwas sieht…“ In dem Schweigen und der Stille vernahm er metallisches Klirren. Zugleich trat in sein Dunkel ein grauer, fahler Schimmer.
„Aha!“ triumphierte der Bariton. „Das war nur an den Synapsen. Die Pupillen reagieren schon seit einer Woche. Übrigens“, setze er leiser hinzu, „eines wird er nicht können…“
Unverständliches Flüstern. „Agnosie?“
„Woher denn. Das wäre ja noch gut… guck dir die oberen Teile an…“
„Das Gedächtnis restituiert sich?“
„Ich weiß nicht, ich kann weder ja noch nein sagen. Wie ist das Blutbild?“
„Normal“
„Das Herz?“
„Fünfundvierzie.“
„Der systolische Blutdruck?“
„Einhundertzehn. Wollen wir schon abschalten?“
„Lieber nicht. Warte mal. Ein kleiner Impuls im Rückenmark..“
Er fühlte in sich etwas zucken. „Der Muskeltonus kehrt zurück, siehst du?“
„Ich kann nicht gleichzeitig die Miogramme und das Gehirn im Auge haben. Bewegt er sich?“
„Mit den Armen… Astigmatisch.“
„Und jetzt? Beobachte sein Gesicht.
Blinzelt er?“
„Er hat die Augen auf. Sieht er?“
„Noch nicht. Wie reagieren die Pupillen?“
„Auf vier Lux. Ich schalte sechs ein. Sieht er?“
„Nein, aber er nimmt das Licht wahr. Das ist eine Reaktion des Thalamus. Der Medicom soll die Elektroden korrigieren und Strom geben. Da — prima!“
Durch einen Schleier sah er über sich etwas Bleiches, Rötliches und
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