Fiasko
gefunden haben, so ließ sich der Vorname Überhaupt nicht, vom Nachnamen lediglich der Anfangsbuchstabe entziffern: ein P. Im ganzen zählte der Name fünf bis acht Buchstaben. Der Zufall wollte es, daß mit P die Namen der beiden Männer anfingen, von denen nur einer wiederbelebt werden konnte. Sie riefen über Monitor die Spinogramme all der Leute, die sie in flüssigem Helium liegen hatten. Durch die Schichtbildaufnahme, die viel präziser war als das vorsintflutliche Röntgen, ließ sich das Alter der Opfer mit einer Genauigkeit bis zu zehn Jahren bestimmen. Dies geschah anhand des Knochengewebes der Gelenkknorpel und anhand der Blutgefäße — zu Lebzeiten dieser Leute verstand die Medizin die als Sklerose bekannten Veränderungen noch nicht aufzuhalten. Die beiden zur Reanimation Tauglichen waren von gleichem Körperbau, die Gesichtspartien bedurften bei beiden der chirurgischen Rekonstruktion. Sie besaßen die gleiche Blutgruppe, nach den in den Rippen und nur ansatzweise in der Aorta vorhandenen Einlagerungen von Kalk dürften sie zwischen dreißig und vierzig Jahren alt gewesen sein. Den Lebensläufen zufolge, die auch die Geschichte der durchlaufenen Krankheiten enthielten, war keiner jemals einer Operation unterzogen worden, die am Körper Narben hinterlassen hätte. Die Arzte wußten es, wollten jedoch vom Wissen der Physiker Gebrauch machen: Die Durchleuchtung beruhte auf der magnetischen Resonanz der Atomkerne im Organismus. Die Physiker schüttelten nur die Köpfe: Die Kerne der stabilen Elemente sind so gut wie unwissend. Es wäre was anderes, wenn sich in den Körpern dieser Männer Isotope fänden.
Diese Isotope fanden sich, aber auch sie erwiesen sich als Sackgasse. Die beiden waren einst einer Strahlenbelastung von einhundert bis zweihundert Rein ausgesetzt gewesen — wahrscheinlich in den letzten Stunden ihres Lebens.
Es ist eine sozusagen anonyme und abstrakte Beschäftigung, die inneren Organe eines Menschen in ihren verschiedenen Schichten zu betrachten. Der Anblick der nackten, in Stickstoff gefrorenen und in Helium getauchten Leichen, zumal ihrer zerquetschen Gesichter war derart, daß Gerbert es vorgezogen hatte, ihn den Physikern zu ersparen. Bei beiden Toten waren die Augäpfel erhalten — insgeheim letztlich die größte Not der Ärzte, denn die Blindheit des einen hätte ihnen gewissermaßen die Entscheidung darüber abgenommen, daß der Mann mit dem unversehrten Augenlicht wiederbelebt werden mußte. Als die Physiker fort waren, setzte sich Terna auf das Podium mit dem aufgeschlitzten Kryotainer, und er blieb wortlos so sitzen, bis Gerbert die Spannung nicht mehr aushielt. „Also?“
fragte er. „Welcher?“
„Man könnte noch Hrus zu Rate ziehen…“, murmelte Terna zögernd.
„Wozu? Tres faciunt collegium?“
Terna stand auf, tippte etwas in die Tasten, und der Bildschirm zeigte gehorsam zwei Reihen grüner Ziffern, rechts daneben eine rote, die warnend blinkte. Er schaltete den Apparat aus, als könne er das nicht ertragen. Als er wieder eine Taste drücken wollte, umfaßte ihn Gerbert und hielt ihn zurück.
„Hör auf, das hilft nichts.“
Der andere sah ihm in die Augen. „Vielleicht sollte man sich Rat holen…“, setzte er an, vollendet den Satz jedoch nicht.
„Nein. Niemand wird uns helfen. Hrus…“
„Ich habe nicht an Hrus gedacht.“
„Ich weiß. Ich wollte sagen, daß, formell gesehen, Hrus eine Entscheidung trifft, wenn wir uns an ihn wenden. Als Chefarzt wird er es müssen, aber das ist eine klägliche Ausflucht. Außerdem siehst du ja, daß er sich dünngemacht hat.
Ziehen wir das nicht in die Länge, in einer Stunde — in einer knappen Stunde drosselt Khargner den Schub.“ Er ließ Terna los, drückte auf dem Pult die Kontakte, die den Reanimationsraum in Bereitschaft versetzten, und sagte dabei:
„Es gibt keine Toten. Es gibt sie nicht so, als wären sie jemals geboren. Wir bringen niemanden um. Wir stellen ein Leben wieder her. Betrachte das von dieser Seite.“
„Großartig“, sagte Terna mit funkelndem Blick: „Du hast recht. Es ist eine große Tat. Ich trete sie dir ab. Du sollst die Wahl treffen.“
Die weiße Schlange, die sich auf der Wandtafel um den Kelch ringelte, signalisierte durch ihr Aufleuchten die Bereitschaft.
„Gut“, sagte Gerbert. „Unter einer Bedingung. Die Sache bleibt unter uns, und niemand erfährt etwas
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