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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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half ihm, eine Unmenge von Erinnerungen zu rekonstruieren — aber ohne menschliche Vor- und Zunamen, einschließlich seines eigenen.
       Schließlich fragte er seinen Gesprächspartner direkt danach. Dieser verstummte für eine gute Weile. Das Gedächtnistraining fand in einer reichlich merkwürdig eingerichteten Kajüte statt. Es gab hier einige altväterliche Möbel, reine Museumsstücke in beinahe höfischem Stil, zierliche Sessel mit Vergoldungen und gebogenen Füßen. Jede Wand schmückten die Bilder alter Holländer, die nämlich, derer er sich als seiner Lieblingsgemälde erinnerte und die jeweils erschienen, als wollten sie ihm zu Hilfe kommen. Sie wechselten also mehrfach, und was in den kunstvoll gearbeiteten Rahmen steckte, war keine Leinwand, ahmte aber deren Textur und die Klümpchen der Ölfarbe täuschend nach. Der Memnor verriet ihm auch, wie diese vollkommenen, vergänglichen Repliken gemacht wurden. Der maschinelle Lehrer war unsichtbar, aber natürlich nicht von jemandem versteckt worden: Als Unterkomplex des Äskulap hatte man ihn für diese Gespräche abgestellt, er besaß keine Gestalt, die imstande gewesen wäre, die Stimmung des Schülers zu stören. Damit dieser aber in dem leeren Raum nicht zum Mikrofon oder zur Wand sprach, hatte er vor sich eine Büste des Sokrates, wie sie aus den Lesebüchern der griechischen Mythologie, möglicherweise auch der Philosophie bekannt ist. Diese Büste mit dem ziemlich wuschligen Kopf schien aus Stein zu sein, beteiligte sich zuweilen aber durch ihr Mienenspiel an der Unterhaltung.
       Dem Belehrten war das nicht angenehm, er fand es geschmacklos. Da er aber auf keine konkrete Änderung kam und auch gegen Gerbert nicht zudringlich sein wollte, gewöhnte er sich an dieses Antlitz, und nur wenn er etwas Heikles vorbringen wollte, ging er vor dem Mentor auf und ab, ohne ihn anzusehen, genau so, als spräche er mit sich selbst. Der falsche Sokrates schien zu zaudern, wie vor einem allzu schweren Problem.
       „Ich werde dir auf unbefriedigende Weise antworten. Es ist nicht gut für den Menschen, sich in der Beschaffenheit von Körper und Geist vollkommen auszukennen. Die vollkommene Erkenntnis bestimmt die Grenze der menschlichen Möglichkeiten, die der Mensch um so schwerer erträgt, je weniger er von Natur aus in seinen Absichten beschränkt ist. Soviel als erstes. Zweitens behält man Vornamen anders als alle anderen Begriffe, die hinter der Rede verborgen sind.
       Die Vornamen bilden nämlich kein geschlossenes System. Sie beruhen rein auf Übereinkunft. Jeder heißt irgendwie, könnte aber ebensogut anders heißen und bliebe doch derselbe Mensch. Über die Eigennamen entscheidet der Zufall, der Vater und Mutter heißt. Vor- und Zunamen entbehren also der logischen und physikalischen Notwendigkeit. Wenn du einem Philosophen eine kleine Abschweifung gestattest: Es gibt nur Dinge und ihre Beziehungen. Ein Mensch zu sein ist soviel wie ein gewisses Ding zu sein. Daß es ein lebendiges ist, spielt weiter keine Rolle dabei. Bruder oder Sohn zu sein ist bereits eine Beziehung. Du kannst ein Neugeborenes mit allen Methoden untersuchen — du wirst in ihm alles entdecken und seinen Erbcode herausfinden, aber nicht seinen Namen. Die Welt erkennt man. An Namen indes gewöhnt man sich nur. Im gewöhnlichen Leben spürt man diesen Unterschied nicht. Wer jedoch zweimal zur Welt kommt, erlebt ihn. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dir noch einfällt, wie du heißt. Das kann jederzeit, es kann nie geschehen. Deshalb riet ich dir, wenigstens einen provisorischen Namen anzunehmen. Das ist weder unredlich noch betrügerisch, du versetzt dich in die Lage deiner Eltern an deiner Wiege. Auch sie wußten, als sie sich heirateten, noch nicht, welchen Namen sie dir geben würden. Jahre später, nachdem sie ihn gewählt hatten, hätten sie sich nicht vorstellen können, daß du einen anderen, angeborenen, zutreffenderen Namen hast und sie ihn dir nicht gegeben haben.“
       „Du redest ein bißchen wie das Orakel zu Delphi“, meinte er dazu und suchte zu verbergen, wie ihn die Worte von seinem Tod getroffen hatten. Er verstand nicht, warum er auf diese wohlbekannte Tatsache so reagierte — eigentlich mußte er doch unsägliche Genugtuung verspüren, da er von den Toten auferstanden war.
     
       „Mir geht es nicht um den Vornamen. Ich weiß, daß mein Zuname mit P anfängt.
       Vier bis acht Buchstaben. Parvis oder Pirx. Ich weiß, daß jene nicht zu

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