Fiasko
die Hände auf die Brust. Das Herz schlug regelmäßig. Auf den halbgeöffneten Lippen des Schlafenden stand weiß und klebrig der Onax. „Trage das vor, was feststeht“, sagte er. Gleichzeitig steckte er Gerbert die Daumen hinter die Kiefer und sah ihm in die Rachenhöhle. Er spürte die Wärme des Atems, fuhr mit dem Finger zwischen die Zähne und berührte vorsichtig den Gaumen. Gerbert zuckte zusammen und schlug die Augen auf. Sie standen voller reiner, glasklarer Tränen. Mit stiller Genugtuung konstatierte Steergard die Wirkung eines so primitiven Mittels, jemanden aus der Ohnmacht zu wecken. Gerbert war nicht aufgewacht, weil die Nabelschnur nicht völlig abgeschaltet war. Steergard klemmte den Katheter ab, der wegsprang und spritzend weiße Flüssigkeit entließ. Der Nabel schloß sich von selbst.
„Alles in Ordnung“, sagte Steergard, knetete die Brust des Arztes und spürte, wie sie ihm an den Händen klebte. Gerbert sah ihm mit weitgeöffneten Augen, wie vor Staunen erstarrt, ins Gesicht und schien nichts gehört zu haben. „GOD!“
„Jawohl.“
„Was ist passiert? Die EURYDIKE oder die Quinta?“
„Veränderungen auf der Quinta.“
„Zähl sie auf!“
„Die Aufzählung von Unklarem ist unklar.“
„Sag, was du weißt.“
„Vor dem Abtauchen traten schnell veränderliche Sprünge der Albedo auf, die Funkemission erreichte dreihundert Gigawatt weißen Rauschens. Auf dem Mond zuckt ein weißer Punkt, der für magnetisch gebundenes Plasma gehalten wird.“
„Irgendwelche Anweisungen?“
„Vorsicht und getarnte Erkundung.“
„Und konkret?“
„Nach eigenem Ermessen vorgehen.“
„Entfernung von der Quinta?“
„Eine Milliarde dreihundert Meilen in gerader Linie.“
„Tarnung?“
„Ausgeführt.“
„Mix?“
„Jawohl.“
„Hast du das Programm geändert?“
„Nur den Anflug. Das Raumschiff ist im Schatten der Juno.“
„Völlig funktionstüchtig?“
„Jawohl. Soll ich die Besatzung reanimieren?“
„Nein.
Hast du die Quinta beobachtet?“
„Nein. Ich habe die kosmische Geschwindigkeit in der Thermosphäre der Juno abgebremst.“
„Das ist gut. Jetzt schweig und warte.“
„Ich schweige und warte.“
Das laßt sich interessant an, dachte Steergard und massierte weiter die Brust des Arztes. Dieser seufzte und bewegte ich.
„Kannst du mich sehen?“ fragte ihn der nackte Kommandant. „Sprich nicht, blinzle!“ Gerbert blinzelte und lächelte.
Steergard war in Schweiß gebadet, aber er massierte weiter. „Diadochokynesis?“
schlug Steergard vor. Der Liegende schloß die Augen und tippte sich unsicher auf die Nasenspitze. Dann lächelten sie einander zu. Der Arzt zog die Beine an.
„Wulst du aufstehen? Laß dir Zeit.“
Statt einer Antwort packte Gerbert die Ränder seines Lagers und stemmte sich hoch. Er kam nicht zum Sitzen, der Schwung warf ihn in die Luft.
„Paß auf“, mahnte Steergard. „Null g. Nur langsam…“ Gerbert, inzwischen voll bei Bewußtsein, sah sich um. „Was ist mit den anderen?“ fragte er und schob die verklebten Haare aus der Stirn. „Die Reanimation ist im Gange.“
„Soll ich helfen, Doktor Gerbert?“ fragte GOD. „Nicht nötig“, sagte der Arzt und prüfte nacheinander die Kontrollgeräte über den Sarkophagen. Er drückte auf Brustkörbe, prüfte Augäpfel, untersuchte die Reaktion von Bindehäuten. Im Baderaum hörte er Wasser und Ventilatoren rauschen. Steergard duschte sich. Bevor der Arzt bei Nakamura, dem letzten der Schläfer, angelangt war, kam der Kommandant schon in Shorts und einem schwarzen Trikot aus seiner Kabine.
„Wie geht es den Leuten?“ fragte er.
„Alle gesund. Nur bei Rotmont die Spur einer Arrhythmie.“
„Bleib bei ihnen. Ich befasse mich mit der Post…“
„Gibt es Nachrichten?“
„Von vor fünf Jahren.“
„Gute oder schlechte?“
„Unverständliche. Ter Horab hat empfohlen, das Programm zu ändern. Sie haben vor ihrem Abtauchen etwas entdeckt — sowohl auf der Quinta als auch auf ihrem Mond.“
„Was bedeutet das?“
Steergard stand an der Tür. Der Arzt war Rotmont beim Aufstehen behilflich. Drei waren schon beim Duschen. Die anderen schwebten umher, erkannten einander, besahen sich im Spiegel und
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