Fiasko
doch nicht gleich Null. Man mußte mit der Quinta schleunigst ein Übereinkommen finden. Die Sideraltechnologie konnte, wenn man sie an die Bewohner weitergab, die Rettung bedeuten.
Polassar, der die Konzeption des Japaners kannte, sah darin Fakten, die so zurechtgebogen und überzogen waren, daß sie die Voraussetzung stützten — die planetare Auswanderung.
Die Sideraltechnologie kommt nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die bei der asthenosphärischen Anlage am dem Mond genutzte Energie war um drei Größenordnungen von derjenigen entfernt, die den Zugang zur Gravitologie und deren industrieller Anwendung möglich machte. Außerdem wies nichts darauf hin, daß die Quintaner das System der Eta als gastlich ansehen konnten. Die Eta würde in einigen Jahrmillionen in die Endverbrennung ihres Wasserstoffs eintreten und damit zu einem roten Riesen werden. Zu guter Letzt habe Namakura die Daten der Bewegung von Harpyie und Hades im Intervall der gravitationsbedingten Unbestimmtheit so verschoben, daß der kritische Durchgang der Zeta durch die Nähe des Kollapsars bereits in fünfzig Jahrhunderten wahrscheinlich wurde. Zog man jedoch die durch den Spiralarm der Galaxie ausgelösten Perturbattonen in Betracht, so würde sich der Durchgang um weit über zwanzig Jahrtausende verzögern. Die Nachricht jedoch, in fünfundzwanzigtausend Jahren werde es zum Schlimmsten kommen, könne nur völlig unvernünftige Geschöpfe in Panik versetzen.
Eine Wissenschaft, die — wie die irdische im 19. Jahrhundert — noch in den Windeln liegt, mag von sich glauben, durch ihre Fortschritte bald im Besitz aller Weisheit zu sein. Eine reifere Wissenschaft kennt zwar nicht die zukünftigen Entdeckungen, weiß jedoch, daß sie in exponentialer Progression zunehmen und man demgemäß in wenigen Jahren mehr Kenntnisse erwirbt als zuvor in Jahrtausenden.
Man wußte nicht, was auf der Quinta geschah, der Kontakt aber mußte hergestellt werden. Riskant, aber notwendig. „Möglich ist alles“ — das war die Ansicht, die Kirsting vertrat. Eine hohe Technologie schließt Glaubensvorstellungen religiöser Natur nicht aus. Die Pyramiden der Ägypter und Azteken würden dem Gast aus anderen Welten ihren Zweck ebensowenig offenbaren wie die Kathedralen der Gotik. Die Fundstätten auf dem Mond der Quinta konnten das Werk eines Glaubens sein. Ein Kult der Sonne — einer künstlichen Sonne. Ein Altar von Kernplasma. Ein Gegenstand der Idololatrie, Symbol der Macht oder der Herrschaft über die Materie. Daneben aber Schismen, Apostasien, Ketzertum, Bekehrungsversuche — nicht durch Kreuzzüge, sondern per Radio, elektromagnetischer Zwang, zur „Konversion“ der abgefallenen Häretiker oder vielmehr ihrer sakralen Informationsmaschinen: Deus est in machina! Nicht, daß dies wahrscheinlich oder geradezu beweisbar wäre. Glaubenssymbole geben Besuchern aus fremder Gegend ihren Sinn ebensowenig preis wie die Produkte von Ideologien Wer für die Absichten von Menschen verschiedener irdischer Kulturen und Epochen den gemeinsamen Nenner finden will, muß mindestens wissen, daß das Materielle nie für alles gehalten wurde, was, sofern vorhanden, der Existenz völlige Befriedigung schafft. Man kann diese Annahme für ein Unding halten — vorausgesetzt, daß Technologie sich stets aus dem Sacrum herleitet! Die Technologie hat aber stets ein außerordentliches Ziel. Und wenn das Sacrum versiegt, muß das in der Kultur entstehende Loch durch etwas anderes ausgefüllt werden.
Kirsting verstieg sich bei der Brautschau von Technologie und Frömmigkeit auf so mystische Höhen, daß Steergard ihn gerade noch ausreden ließ. Und der Kontakt?
Selbstverständlich, für den Kontakt war auch er. Die Piloten hatten gar keine Meinung. Es lag nicht in ihrer Art, Rätselhaftes durch die Phantasie nach Seiten hin aufzubauschen, die mehr oder minder jenseits des Menschentums lagen.
Rotmont fand sich bereit, die technischen Aspekte einer Verständigung zu erörtern, vor allem die Frage, wie sich das Raumschiff vor den quintanischen Satellitenschwärmen schützen sollte. Er war der Ansicht, die Quinta könne in der Vergangenheit bereits von einer anderen Zivilisation besucht worden sein. Dies habe ein böses Ende genommen, und die Lehre sei beherzigt worden: Die Quintaner hatten sich gegen Invasionen abgeschottet, eine Technologie des universellen Mißtrauens hervorgebracht. Man müsse sie zunächst von den friedlichen
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