Fida (German Edition)
Tränen zu fließen beginnen, kriecht sie hinüber zu Lauras Bett, auf dem sie so lange weint, bis sie vollkommen leer und erschöpft einschläft.
Kapitel 10
7. März 2012
Statistisch gesehen ist es nicht unüblich, dass Täter, meist in ihrer Kindheit, selbst Opfer waren und in einer Art Wiederholungszwang die eigene Demütigung weitergeben. Solche Statistiken interessierten ihn nicht. Auf ihn traf so eine Psycho-Scheiße einfach nicht zu. Tom hatte einfach früh festgestellt, dass es ihm Spaß machte, sogar Lust bereitete, wenn andere litten, sich ihm unterwarfen – wenn er der Boss war.
Angefangen hatte es mit kleinen Dingen wie dem Versuch, eine Ameise mit Hilfe der Sonne und einer Lupe zu rösten. Damit, einen kleineren Jungen zu zwingen, eine Nacktschnecke zu essen, zur Belustigung der anderen, mit denen er spielte. Mit dem Machtgefühl, das damit einherging.
Aber ziemlich schnell hatte Tom sich gesteigert. Er war 8, als er sich die Fische im Aquarium seines Vaters vornahm. Sein Alter liebte seine Guppys und Neons. Er verbrachte am Wochenende oft Stunden damit, das Wasser zu wechseln, die Pumpe zu reinigen und den Kies abzusaugen. Tom fand sein Hobby stinklangweilig. Sein erster Anschlag auf die Fische bestand darin, einen anderen Jungen zu verprügeln, damit der ihm sein Taschengeld gab. Damit kaufte er einen ausgewachsenen Skalar im nahegelegenen Zoogeschäft, den er ins Becken setzte, während sein Vater bei der Arbeit war. Den restlichen Nachmittag verbrachte er vor dieser kleinen, nassen Welt und sah zu, wie der Raubfisch Jagd auf die kleinen Jungfische machte. Erfolgreich – bald hatte er einen guten Teil des Besatzes gefressen. Seinem entsetzten Vater erzählte Tom später, er hätte ihm mit dem tollen Fisch nur eine Freude machen wollen. Sein Vater war davon so gerührt, dass er es nicht übers Herz brachte, das Geschenk einfach wieder heraus zu fischen und in die Zoohandlung zurück zu bringen. Also ließ er den Skalar im Becken. Innerhalb weniger Wochen waren nur noch die schnellsten und größten Guppys übrig, die es geschafft hatten, sich schnell genug zwischen den Blättern der Wasserpflanzen zu verstecken, sobald der dreieckige Räuber angeschwommen kam.
An einem Nachmittag, an dem er selbst vor Langeweile fast einging, holte Tom aus der Vorratskammer zwei Päckchen Kochsalz und schüttete sie ins Wasser. Der Effekt war verheerend.
„Ich wollte doch nur, dass es die Fischlis schön haben!“, beteuerte er dann am Abend. „Wie im Meer. Da ist das Wasser doch auch salzig. Ich habe ihnen nur Meerwasser gemacht!“ Dazu quetschte er ein paar Tränen aus den Augen, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Die Fische waren alle eingegangen, aber sein Vater verzieh ihm, im Glauben, Tom hätte es ja nicht böse gemeint. Sein Hobby gab er dennoch auf und mottete das Aquarium ein.
Toms nächstes Opfer war Fredi, der Hamster. Eine im Käfig aufgestellte Mausefalle brach ihm das Genick. Trotzdem hatte Fredi noch ein wenig gefiept und gequiekt, bevor er ganz tot war. Als er seinem Vater am Abend erzählte, Fredi wäre ihm aus Versehen runtergefallen, hatte sein Vater wohl zum ersten Mal den Verdacht, Tom würde nicht ganz die Wahrheit sagen. Er hielt ihm einen ungewöhnlich langen Vortrag über die große Verantwortung, die man trägt, wenn man ein Haustier hat, sowie die Verpflichtung es gut zu behandeln.
Tom aber fand es faszinierend, sich das Leiden der anderen anzusehen, egal ob das von Mensch oder Tier. Herr darüber zu sein, wer lebt und wer stirbt. Oder darüber, wer die Zunge weit rausstreckt, um in der Schultoilette die Schüssel auszulecken und wer nicht.
Natürlich waren seine sadistischen Neigungen während seines Heranwachsens ab und an aufgefallen. Nach der Sache mit der verdammten Nachbarskatze schleppte seine Mutter ihn sogar zum Psychiater. Doch als der die Schuld mehr bei seinen Eltern als bei ihm suchte, sogar argwöhnisch einen Missbrauch in den Raum stellte, hörten die Besuche beim Seelenklempner rasch auf. Was dieser Idiot nicht geschnallt hatte war, dass er solche Sachen nicht machte, um mit irgendwelchen schlimmen Erlebnissen klarzukommen, sondern weil es ihm Freude bereitete. Nur so rum wurde ein Schuh draus.
Schon sehr früh in seinem Leben machte Tom selbst Erfahrung mit dem Keller, in dem er Laura nun eingesperrt hatte. Wenn Tom etwas richtig Schlimmes angestellt hatte und aufflog, eine Gardinenpredigt absolut nicht ausreichend erschien, sperrte sein Vater ihn zur
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