Fiebertraum
Arm einladend darbot. In einer würdevollen Geste ergriff er ihre Hand und trank lange und reichlich. Als er genug hatte, erhob sich Cynthia unsicher, sank noch einmal zurück, berührte mit einem Knie den Fußboden und erhob sich vollends und stand schwankend da. »Blutmeister«, sagte sie mit gesenktem Kopf. »Blutmeister.«
Damon Julians Lippen waren rot und naß, und ein winziger Blutstropfen war von einem Mundwinkel herabgesickert. Julian holte ein Taschentuch hervor und tupfte sich die dünne feuchte Linie vom Kinn, dann verstaute er das Tuch sorgfältig wieder an seinem Platz. »Ist es ein großer Dampfer, Billy?« erkundigte er sich.
Sour Billy schob das Messer mit einer geübten fließenden Bewegung in die Nackenscheide und lächelte. Die Wunde an Cynthias Handgelenk, das Blut an Julians Kinn, das alles erhitzte ihn, regte ihn auf. Julian würde es diesem verdammten Schiffsvolk schon zeigen, dachte er. »Größer als jeder Dampfer, den ich je gesehen habe«, antwortete er. »Und auch eleganter. Silber und Spiegel und Marmor, jede Menge buntes Glas und dicke Teppiche. Es wird Ihnen dort sicher gefallen, Mister Julian.«
»Ein Dampfschiff«, überlegte Damon Julian laut. »Ich frage mich, warum mir niemals der Fluß in den Sinn gekommen ist. Die Vorteile sind doch offensichtlich.«
»Demnach gehen wir hin?« meinte Kurt.
»Ja«, sagte Julian, »o ja! Schließlich hat uns der Blutmeister gerufen. Der König.« Er lachte brüllend und warf den Kopf in den Nacken. »Der König!« rief er unter schallendem Gelächter aus. »Der König !« Nach und nach stimmten auch die anderen in das Gelächter ein.
Julian stand brüsk auf, wie ein aufspringendes Klappmesser, und sein Gesicht war wieder ernst. Das Gelächter verstummte augenblicklich. Er starrte hinaus in die Dunkelheit vor dem Hotel. »Wir müssen ein Geschenk mitbringen«, sagte er. »Man begibt sich niemals zu einem König ohne ein Gastgeschenk.« Er wandte sich an Sour Billy. »Morgen gehst du hinunter in die Moreau Street, Billy. Dort sollst du etwas für mich holen. Eine kleine Gabe für unseren bleichen König.«
KAPITEL SIEBZEHN
An Bord des Raddampfers Fiebertraum New Orleans, August 1857
E s scheint, als hätte die Hälfte aller Dampfer in New Orleans sich entschlossen, an diesem Nachmittag abzulegen, dachte Abner Marsh, als er auf dem Sturmdeck stand und alle aufbrechen sah.
Es war üblich, daß Schiffe, die flußaufwärts dampften, stets gegen fünf Uhr vom Pier ablegten. Um drei Uhr heizten die Maschinisten die Feuerungen an und sorgten für Dampf. Terpentinharz und Pechkiefer wurden in die hungrigen Schlünde des Dampfers geworfen, zusammen mit Holz und Kohle, und nach und nach stieg von den Schiffen dicker schwarzer Qualm auf, wallte aus den bunten Schornsteinen in mächtigen heißen Säulen empor, dunklen Fahnen gleich, die zum Abschied geschwenkt wurden. Vier Meilen Dampfschiffe, die dicht hintereinander am Kai lagen, können eine Menge Qualm hervorbringen. Die rußigen Qualmsäulen verschmolzen ungefähr hundert Meter über dem Fluß zu einer einzigen dichten schwarzen Wolke; eine Wolke, durchsetzt mit Asche und voller rotleuchtender Glutfunken, die im Wind dahintrieben. immer größer wurde die Wolke, als weitere Dampfer die Kessel aufheizten und Rauch in die Luft stießen, bis die schwarze Masse die Sonne völlig verdeckte und ihr schwarzer Schatten wie ein Tuch über das Antlitz der Stadt glitt.
Von Abner Marshs Beobachtungspunkt auf dem Sturmdeck aus sah es so aus, als ginge die ganze Stadt New Orleans in Flammen auf, und als träfen alle Dampfer Anstalten zu fliehen. Der Anblick löste in ihm ein Gefühl des Unbehagens aus, als wüßten die anderen Kapitäne etwas, wovon er keine Ahnung hatte, als sollte auch die Fiebertraum ihre Feuer entfachen und sich aufs Ablegen vorbereiten. Marsh hatte es eilig, die Fahrt wiederaufzunehmen. Trotz des Profits und der Pracht, die New Orleans bot, sehnte er sich nach den Flußgegenden, die er kannte: nach dem Oberlauf des Mississippi mit seinen Felsufern und den dichten Wäldern, nach dem wilden lehmigen Missouri, der Dampfer verschlang, als wären sie nichts, nach dem schmalen Illinois und dem verschlammten eiligen Fevre. Die Jungfernfahrt der Fiebertraum den Ohio hinunter erschien ihm nun fast idyllisch, eine Erinnerung an einfachere, bessere Tage. Noch nicht einmal zwei Monate lag es zurück, und doch kam es ihm vor wie eine Ewigkeit. Seit sie St. Louis verlassen hatten und
Weitere Kostenlose Bücher