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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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angezündet worden, und der Qualm, der Dampf und das heraufziehende Gewitter draußen hatten dazu beigetragen, daß das Licht, das durch die Oberlichter hereindrang, düster und trübe und schwach erschien. Es kam Marsh so vor, als wäre im Salon, auf seinem Dampfer, bereits die Dämmerung angebrochen. Die Teppiche sahen fast schwarz aus, die Spiegel waren voller Schatten. Hinter der langen schwarzen Marmorbar polierte ein Mann Gläser, aber sogar er wirkte irgendwie unwirklich, verschwommen. Nichtsdestoweniger nickte Marsh ihm grüßend zu und ging weiter zur Küche, die sich hinter dem Radkasten befand. Hinter den Küchentüren stieß er auf Geschäftigkeit; zwei von Tobys Küchenjungen rührten in großen Kupferkesseln oder wendeten in Pfannen liegende Brathühner, während die Kellner herumlungerten und sich Witze erzählten. Marsh roch den Duft der Pasteten in den Backöfen. Davon lief ihm das Wasser im Mund zusammen, doch er ging standhaft weiter. Er traf Toby in der Steuerbordkombüse, umgeben von Regalen mit Käfigen voller Hühner und Tauben und hier und da auch einigen Singvögeln und Enten und ähnlichem. Die Vögel veranstalteten einen schrecklichen Lärm. Toby blickte auf, als Marsh eintrat. Der Koch war gerade damit beschäftigt gewesen, Hühner zu schlachten. Drei geköpfte Vögel lagen bereits auf dem Tisch, und ein vierter zappelte hilflos auf dem Hauklotz vor ihm. Toby hatte das Hackbeil in der Hand. »Hallo, Cap’n Marsh!« sagte er lächelnd. Er schlug mit dem Hackbeil zu, und es sauste mit einem dumpfen Laut herunter. Blut spritzte, und das kopflose Huhn flatterte hektisch, als Toby es losließ. Seine harten schwarzen Hände waren naß von Blut. Er wischte sie sich an der Schürze ab. »Was kann ich für Sie tun?« fragte er.
    »Ich wollte dir nur Bescheid sagen. Heute abend, wenn das Essen beendet ist, dann will ich, daß du vom Schiff verschwindest«, erklärte Marsh. »Du sorgst für das Essen, servierst wie immer, und dann nichts wie weg. Und nimm deine Küchenjungen und auch die Kellner gleich mit. Du hast verstanden, oder? Du hast gehört, was ich gesagt habe?«
    »Klar doch, Cap’n«, sagte Toby grinsend. »Und wie. Sie feiern wohl ’ne kleine Party, nicht wahr?«
    »Das geht dich nichts an«, sagte Marsh. »Sieh nur zu, daß du an Land kommst, sobald deine Arbeit beendet ist.« Er wandte sich zum Gehen, das Gesicht unverändert ernst. Doch irgend etwas brachte ihn dazu, sich noch einmal umzudrehen. »Toby«, sagte er.
    »Yessuh?«
    »Du weißt, daß ich für die Sklaverei noch nie viel übrig hatte, auch wenn ich niemals etwas dagegen unternommen habe. Ich hätte es sicher getan, aber diese verdammten Abolitionisten rannten nur mit der Bibel in der Hand herum. In letzter Zeit habe ich darüber ziemlich oft nachgedacht, und mir scheint, als hätten sie am Ende doch recht. Man darf einfach nicht hingehen - und andere Menschen benutzen, als wären es überhaupt keine Menschen. Du weißt, was ich meine? Früher oder später muß damit Schluß sein. Wäre zwar besser, wenn das Ende friedlich wäre, aber es muß aufhören, auch wenn es mit Feuer und Blut geschehen sollte, verstehst du? Wahrscheinlich ist es genau das, was die Abolitionisten die ganze Zeit predigen. Man versucht dauernd, vernünftig zu sein, das ist auch richtig so, aber wenn man damit nicht weiterkommt, dann muß man bereit sein, mit anderen Mitteln zu kämpfen. Es gibt Dinge, die sind ganz einfach falsch. Und die muß man dann abstellen.«
    Toby schaute ihn mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an, wobei er ganz in Gedanken mit den Händen über die Schürze wischte, hin und her, hin und her. »Cap’n«, sagte er leise, »Sie reden ja wie ein Abolitionist. Aber wir sind hier im Sklavenland, Cap’n. Sie könnten für Ihre Worte getötet werden.«
    »Schon möglich, Toby, aber was Recht ist, muß Recht bleiben, soviel sage ich dazu.«
    »Sie haben es mit dem alten Toby immer gut gemeint, Cap’n Marsh, haben mir sogar die Freiheit geschenkt, so daß ich für Sie kochen konnte. Das haben Sie getan.«
    Abner Marsh nickte. »Toby«, sagte er, »sei doch so nett und hol mir ein Messer aus der Küche. Aber, hörst du, sag niemandem etwas davon, klar? Hol mir einfach nur ein scharfes Messer. Am besten wäre es, wenn ich es in einen Stiefel stecken könnte, glaube ich. Kannst du so etwas besorgen?«
    »Yessuh, Cap’n Marsh«, sagte Toby. Die Augen verengten sich nur ein wenig in dem verwitterten schwarzen Gesicht. »Yessuh.«

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