Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
Vom Netzwerk:
flußabwärts gefahren waren, war alles schlimmer geworden, und je weiter sie nach Süden vordrangen, desto mehr verschlechterte sich alles. »Joshua hat recht«, murmelte Marsh vor sich hin, als er die Blicke über New Orleans schweifen ließ. »Diese Stadt ist voller Fäulnis.« Es war zu verdammt heiß, zu verdammt feucht, es gab verdammt noch mal zu viele Insekten, genug, um einen auf den Gedanken zu bringen, daß auf der ganzen verdammten Gegend ein Fluch lag. Und vielleicht stimmte das auch, weil es eine Hochburg der Sklaverei war, dachte Marsh, aber war sich nicht ganz sicher. Nur eines wußte er genau, nämlich daß er Whitey am liebsten den Befehl gegeben hätte, die Kessel aufzuheizen, und Framm oder Albright ins Steuerhaus gerufen hätte, damit er mit der Fiebertraum vom Pier ablegen und flußaufwärts dampfen könnte. Jetzt gleich. Vor Sonnenuntergang. Ehe sie einträfen.
    Abner Marsh wünschte sich so dringend, die entsprechenden Befehle geben zu können, daß er die Worte fast schmecken konnte, als sie ihm bitter und unausgesprochen auf der Zunge lagen. Er empfand eine Art abergläubischer Furcht vor diesem Abend, obgleich er sich immer und immer wieder klarmachte, daß er kein abergläubischer Mensch war. Aber er war auch nicht blind - der Himmel war heiß und erstickend, und im Westen baute sich ein Gewitter auf, ein mächtiges, ein Unwetter, der Sturm, den Dan Albright schon vor zwei Tagen gerochen hatte. Und die Dampfer legten ab, einer nach dem anderen, Dutzende, und während Marsh ihnen nachschaute, wie sie sich flußaufwärts entfernten und in den wabernden Hitzewellen verschwanden, fühlte er sich immer einsamer, als ob jedes Dampfschiff, das in die Ferne strebte, ein kleines Stück von ihm mitnähme, einen Teil seines Mutes, ein Bruchstück seiner Sicherheit, einen Traum oder eine winzige verzweifelte Hoffnung. Viele Raddampfer verlassen täglich New Orleans, dachte Marsh bei sich, und heute ist es nicht anderes als sonst, es ist ein Tag wie jeder andere Tag auf dem Fluß im August: heiß und voller Qualm und träge, während jedermann sich nur langsam bewegt und wartet, vielleicht auf einen Hauch kühler Luft oder den sauberen frischen Regen, der den Qualm vom Himmel spült.
    Aber ein anderer Teil seiner Persönlichkeit, ein älterer, ahnungsvollerer Teil, wußte, daß das, worauf sie warteten, nicht die Kühle oder die Frische waren, und daß es keine Erlösung von der Hitze, der Feuchtigkeit, den Moskitos, der Angst bringen würde.
    Tief unten schimpfte Hairy Mike mit seinen Schauerleuten herum und drohte ihnen mit seinem Eisenknüppel, doch der Lärm vom Kai und die Glocken und Dampfpfeifen der anderen Schiffe deckten seine Worte zu. Ein ganzer Berg Fracht wartete auf dem Pier, fast tausend Tonnen, das volle Ladegewicht der Fiebertraum . Kaum ein Viertel davon war über die schmalen Laufplanken auf das Hauptdeck geschleppt worden. Es würde noch Stunden dauern, den Rest an Bord zu bringen. Selbst wenn er es gewollt hätte, Marsh konnte gar nicht aufbrechen, nicht bei der Frachtmenge, die auf dem Kai wartete. Hairy Mike und Jeffers und die anderen würden glauben, er habe den Verstand verloren.
    Er wünschte, er hätte ihnen alles erzählen können, wie er es beabsichtigt hatte, und mit ihnen gemeinsam Pläne schmieden können. Aber dazu war keine Zeit. Alles war so schnell gegangen, und heute abend, nach Einbruch der Dunkelheit, würde dieser Damon Julian auf die Fiebertraum kommen, um zu dinieren. Es blieb keine Zeit, mit Hairy Mike oder mit Jonathon Jeffers zu reden, keine Zeit, zu erklären oder zu überzeugen oder sich mit den Zweifeln und Fragen zu beschäftigen, die sie ganz gewiß äußern würden. Daher wäre Abner Marsh an diesem Abend allein - oder fast allein, nur er und Joshua York in einem Saal voll mit ihnen , dem Nachtvolk. Marsh zählte Joshua York nicht zu den anderen. Er unterschied sich von ihnen, irgendwie. Und Joshua sagte, daß alles gutginge, Joshua hatte sein Getränk, Joshua war voller schön klingender Worte und voller Träume. Aber Abner Marsh hatte seine bösen Ahnungen.
    Die Fiebertraum war still, beinahe schon verlassen. Joshua hatte fast jeden an Land geschickt; das Dinner an diesem Abend sollte so privat sein, wie es sich einrichten ließ. Es war nicht gerade das, was Abner Marsh gefiel, aber Joshua duldete keinen Widerspruch, wenn er sich irgend etwas in den Kopf gesetzt hatte. In der Hauptkabine war der Tisch bereits gedeckt. Die Lampen waren noch nicht

Weitere Kostenlose Bücher