Fiebertraum
und selbst die war so hoch, wie Marsh groß war, während die untere Hälfte in einem Spalt im Fußboden verschwand. Es war aus weichem schwarzem Teakholz gefertigt, kühl und glatt anzufassen, und die Speichen trugen als Verzierung schmale Silberbänder ähnlich wie die Strumpfhalterbänder eines Tanzmädchens. Das Rad schien sich nach der Hand des Steuermannes zu sehnen.
Joshua York näherte sich dem Rad und berührte es, strich mit einer blassen Hand über das schwarze Holz mit seinem Silber-schmuck. Dann umfaßte er den äußeren Holzring, als wäre er selbst der Steuermann, und für einen langen Moment stand er da, die Hand am Rad und seine grauen Augen mit düsterem Blick auf die Nacht und den für diesen Juni ungewöhnlichen Nebel gerichtet. Die anderen verstummten nach und nach, und für einen kurzen Augenblick konnte Abner Marsh nahezu fühlen, wie sich das Dampfboot bewegte, wie es über einen finsteren Fluß der Einbildung, der Phantasie glitt, auf einer seltsamen und endlosen Reise.
Joshua York wandte sich um und zerriß damit die Verzauberung dieses Augenblicks. »Abner«, sagte er, »ich würde gerne lernen, dieses Boot zu steuern. Können Sie mir das beibringen?«
»Steuern, was?« meinte Marsh überrascht. Es fiel ihm nicht schwer, sich York als seinen Meister und Kapitän vorzustellen, aber das Steuern eines Schiffes war etwas ganz anderes - dennoch stimmte diese Frage allein ihn seinem Partner gewogener, erwärmte ihn für York und half ihm, ihn am Ende ein wenig zu verstehen. Abner Marsh wußte genau, was in ihm vorging, wenn er den Wunsch empfand, ein solches Schiff auch einmal selbst zu lenken. »Nun, Joshua«, sagte er, »ich habe auch schon sehr oft hinter dem Rad gestanden, und ich muß sagen, das Steuern gibt einem das tollste Gefühl der Welt. Kapitän zu sein ist nichts im Vergleich zum Lenken eines Schiffs. Aber das ist keine Tätigkeit, die man so einfach erlernen kann, die man jemand anderem abschaut, wenn Sie wissen, was ich damit sagen will.«
»Mir kommt es so vor, als wäre es nicht schwer, mit dem Rad umzugehen«, sagte York.
Marsh lachte. »Zum Teufel, ja, aber es ist nicht das Rad, dessen Bedienung man lernen muß. Es ist der Fluß, York, der Fluß. Der alte Mississippi selbst. Ich war acht Jahre lang Lotse, ehe ich meine eigenen Boote hatte, und besaß die Lizenz für den oberen Mississippi und den Illinois. Niemals für den Ohio oder den Unterlauf des Mississippi, und trotz allem, was ich über Dampfboot wußte, hätte ich niemals ein Boot auf diesen Flüssen steuern können, ohne mein Leben zu riskieren - ich kannte sie nicht. Und bei denen, die ich kannte, habe ich Jahre gebraucht, um sie kennenzulernen, und ich lerne immer noch, es hat nie aufgehört. Mittlerweile habe ich so lange nicht mehr in einem Ruderhaus gestanden, daß ich jeden Fluß wieder ganz von vorne kennenlernen muß. Der Fluß verändert sich, Joshua, das tut er ständig. Er ist beim zweiten Befahren stets anders als beim ersten, und man muß sich jeden Inch davon einprägen.« Marsh ging zum Rad und streichelte es zärtlich. »Nun, ich habe vor, dieses Boot zu lenken, wenigstens einmal. Ich habe zu lange von diesem Schiff geträumt, um es nicht einmal selbst in die Hand nehmen zu wollen. Wenn wir gegen die Eclipse ein Rennen fahren, dann beabsichtige ich, ebenfalls für einen kurzen Zeitraum im Ruderhaus zu stehen, das tue ich ganz bestimmt. Aber das Schiff ist für alles andere als den Frachttransport um New Orleans einfach zu groß, und das heißt, daß der Unterlauf des Flusses unser Gebiet sein wird, deshalb muß ich wieder mit dem Lernen anfangen, jeden verdammten Fußbreit am und auf dem Fluß muß ich mir einprägen. Und das kostet Zeit und ist harte Arbeit.« Er sah York an. »Wollen Sie immer noch ans Ruderrad, jetzt, wo Sie wissen, was Sie erwartet?«
»Wir können doch gemeinsam lernen, Abner«, erwiderte York.
Yorks Begleiter wurden unruhig. Sie wanderten von Fenster zu Fenster, Brown wechselte die Laterne von einer in die andere Hand, Simon erinnerte in seiner stoischen Grimmigkeit an eine Leiche. Smith sagte in einer fremden Sprache etwas zu York. York nickte. »Wir müssen zurück«, sagte er.
Marsh schaute sich noch ein letztesmal um, hatte noch keine Lust zu gehen, und führte die Besucher dann aus dem Ruderhaus.
Als sie ein Stück über das Werftgelände zwischen den Docks gegangen waren, wandte York sich um und schaute zurück auf ihr Dampfboot, das auf seinen Stützen hockte und
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