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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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er. Er nickte den anderen kurz zu. Er hatte sie im April in St. Louis kurz kennengelernt, ehe er mit einem Flußdampfer nach New Albany aufgebrochen war, um den Bau seines Traums zu beaufsichtigen. Sie waren Yorks Freunde und Reisebegleiter, aber eine seltsamere Gruppe hatte Marsh nie zuvor getroffen. Zwei waren Männer unbestimmbaren Alters mit fremd klingenden Namen, an die er sich weder erinnern, noch die er aussprechen konnte; er taufte sie insgeheim Smith und Brown, was York amüsierte. Sie plapperten dauernd in einem ausländischen Kauderwelsch miteinander. Der dritte, ein hohlwangiger Mann aus dem Osten, war gekleidet wie ein Totengräber, trug den Namen Simon und redete überhaupt nicht. Die Frau, Katherine, war angeblich eine Britin. Sie war groß und ging irgendwie vornübergebeugt und bot einen kranken, siechen Anblick. Sie erinnerte Marsh an einen riesigen weißen Geier. Aber sie war mit York befreundet, sie alle waren es, und York hatte ihn schon vorher gewarnt, daß er einige sonderbare Freunde habe, daher verkniff Abner Marsh sich jede Bemerkung.
    »Guten Abend, Abner«, begrüßte York seinen Partner. Er blieb stehen und schaute sich in den Docks um, wo die zur Hälfte fertiggestellten Dampfboote im wallenden grauen Nebel wie eine Ansammlung von Skeletten erschienen. »Eine kalte Nacht, nicht wahr? Für Juni jedenfalls.«
    »Das stimmt wohl. Hatten Sie einen weiten Weg?«
    »Ich habe im Galt House drüben in Louisville eine Suite gemietet. Dann nahmen wir uns ein Boot, das uns über den Fluß brachte.« Seine kühlen grauen Augen studierten interessiert das Dampfboot in ihrer nächsten Nähe. »Ist das unseres?«
    Marsh schnaubte. »Das kleine Ding? Zum Teufel, nein, das ist nur ein mickriger billiger Heckraddampfer, der für den Dienst in Cincinnati gebaut wird. Sie haben doch wohl nicht angenommen, daß ich bei unserem Boot ein verdammtes Heckrad einbauen lasse, oder?«
    York lächelte. »Verzeihen Sie meine Unkenntnis. Wo ist denn nun unser Boot?«
    »Kommen Sie hier entlang«, antwortete Marsh und deutete mit seinem Spazierstock. Er führte sie zwischen den Docks hindurch. »Dort«, meinte er dann und zeigte in die entsprechende Richtung.
    Die Nebelschwaden gaben ihnen die Sicht frei, und da stand es, hoch und stolz, und überragte alle anderen Boote. Die Kabinen und Geländer erstrahlten von frischer Farbe so weiß wie Schnee, die sogar unter dem grauen Nebelmantel hell leuchtete. Hoch oben auf dem Texasdach, auf halbem Weg zu den Sternen, schien das Ruderhaus zu funkeln; ein gläserner Tempel, dessen Zierkuppel rundum mit hübschen Schnitzereien geschmückt war, so fein und filigranhaft wie irische Spitze. Die Schornsteine, Zwillingssäulen, die vorne auf dem Texasdeck standen, ragten hundert Fuß in die Höhe, schwarz und kerzengerade und hochmütig: Ihre befiederten Spitzen schienen wie dunkle Blumen aus Stahl aufzublühen. Der Rumpf war schlank und schien kein Ende zu haben, denn das Heck war vom Nebel verhüllt. Wie alle erstklassigen Boote war es ein Seitenraddampfer. Mittschiffs liegend, bildeten die Radkästen gigantische Gehäuse, die einen Eindruck von der enormen Kraft der Schaufelräder vermittelten, die sich darin drehen sollten. Sie schienen auch deshalb viel größer zu sein, um den Namen zu tragen, der in Kürze auf sie aufgemalt werden sollte.
    In der Nacht und vom Nebel umwallt und inmitten all jener kleineren, schlichteren Boote liegend, erschien der Dampfer wie eine Vision, ein weißes Phantom aus dem Traum eines Flußmannes. Das Schiff raubte einem schier den Atem, dachte Marsh, als sie dastanden und es betrachteten.
    Smith plapperte etwas, und Brown antwortete im gleichen schnellen Plapperton, aber Joshua York konnte nur schweigend schauen. Lange stand er so da, dann nickte er. »Wir haben etwas Wunderschönes geschaffen, Abner«, stellte er fest.
    Marsh lächelte. »Ich hatte nicht damit gerechnet, daß der Bau schon soweit fortgeschritten und nahezu beendet ist«, sagte York.
    »Wir sind hier in New Albany«, erinnerte Marsh ihn. »Deshalb bin ich hierher gegangen anstatt in eine der Werften in St. Louis. Hier werden Dampfboote gebaut, seit ich ein Kind war, im vergangenen Jahr waren es alleine zweiundzwanzig Schiffe, dieses Jahr werden es bestimmt genauso viele. Ich wußte, daß man hier unseren Auftrag ausführen könnte: Sie hätten dabei sein sollen. Ich tauchte mit einer der kleinen Kisten Gold auf, und ich kippte den Inhalt dem Direktor auf den Tisch, und dann

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