Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
haken dich die Leute von der Liste ihrer Sorgen ab. Niemand kümmert sich um dich. Um die bösen Mädchen dagegen kümmert man sich. In ihrer stillen Art verursachte die zweite Julia ziemlich viel Aufregung, und diesmal tat es ihr richtig gut.
Dann kam Quentin zu Besuch. Auf die Frage, wohin Quentin nach dem ersten Semester gegangen war, konnte sie sich nur mit den größten Schwierigkeiten konzentrieren, doch der Nebel, der sie umgab, war ein vertrauter Nebel. Sie hatte ihn schon einmal erlebt: Es war derselbe Nebel, der ihren verlorenen Nachmittag verschleiert hatte. Seine Ausrede, er habe die Highschool früher verlassen, um sich an einem superexklusiven experimentellen College einzuschreiben, roch für sie nach altem Julia-Unsinn. Erfundenem Unsinn.
Sie hatte Quentin schon immer irgendwie gemocht. Er war sarkastisch, unheimlich intelligent und hätte im Grunde nur mal eine Marathon-Therapie und dazu vielleicht ein paar Antidepressiva gebraucht. Ein Mittel, das selektiv die rasend schnelle Wiederaufnahme von Serotonin gehemmt hätte, die offenbar unaufhörlich in seinem Gehirn stattfand. Es war ihr unangenehm gewesen, dass er in sie verliebt war, während sie ihn zutiefst unsexy fand, aber die Gewissensbisse hielten sich in Grenzen. Tatsächlich sah er ganz gut aus, auf jeden Fall besser, als er glaubte, aber diese launische, jungenhafte Fillory-Attitüde ließ sie nun mal völlig kalt. Dabei war sie klug genug, zu erkennen, wessen Problem das war, und zwar nicht ihres.
Doch als er im März zurückkehrte, hatte er sich verändert. Ihm haftete etwas Ätherisches, Tiefgründiges an. Er redete zwar nicht darüber, aber das war auch gar nicht nötig. Er hatte über seinen Horizont hinausgeblickt. Seinen Fingern entströmte ein gewisser Geruch; so roch man, wenn im Wissenschaftsmuseum der große Van-de-Graaff-Generator angeworfen worden war. Quentin war ein Mann, der mit Blitzen umgegangen war.
Sie gingen gemeinsam hinunter zum Kai am Gowanus-Kanal. Julia rauchte eine Zigarette nach der anderen und sah ihn einfach nur an. Sie wusste genau Bescheid: Er war hinüber auf die andere Seite gewechselt, und sie war zurückgelassen worden.
Sie glaubte, ihn bei der Prüfung in Brakebills gesehen zu haben, in dem Saal mit der Kreideuhr, den Wassergläsern und den jungen Leuten, die einer nach dem anderen auf geheimnisvolle Weise verschwunden waren. Jetzt war sie sich sicher, dass sie recht hatte. Sie erkannte außerdem, dass er mit der Situation ganz anders umgegangen war als sie. Als er den Saal betrat, schwang er sich sofort auf seinen Platz und ackerte sich durch die Prüfung, denn ein Studium an einer Zauberschule war genau das, worauf er sein Leben lang gewartet hatte. Er hatte quasi mit so etwas gerechnet und sich schon gefragt, wann es endlich so weit wäre. Im richtigen Moment war er dann mehr als bereit dazu gewesen.
Julia dagegen hatte es kalt erwischt. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass ausgerechnet ihr irgendetwas Besonderes zustoßen würde. Ihr Lebensentwurf sah vor, hinauszuziehen und selbst dafür zu sorgen, dass etwas Besonderes geschah – ein wesentlich vernünftigerer Plan unter dem Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeit und angesichts der Tatsache, wie unwahrscheinlich es war, dass etwas so Aufregendes wie Brakebills einem einfach so in den Schoß fiel. Als sie also dort eintraf, besaß sie die Geistesgegenwart, innerlich auf Abstand zu gehen und sich die Absurdität des Ganzen bewusstzumachen. Mit den Mathematikaufgaben wäre sie weiß Gott spielend fertig geworden. Sie hatte mit Quentin zusammen spezielle Mathekurse besucht, seitdem sie zehn Jahre alt gewesen waren, und alles, was er konnte, konnte sie ebenso gut, und zwar wenn nötig rückwärts und auf Stöckelschuhen.
Doch sie hatte zu viel Zeit damit vertrödelt, sich umzusehen, zu versuchen, die Umgebung zu erfassen und einen Sinn hinter alldem zu erkennen. Sie nahm die Situation nicht als gegeben hin, so wie Quentin es tat. Die Frage beherrschte sie, warum sie alle dort saßen, Differentialgleichungen lösten und allerhand Zirkuskunststückchen vollbrachten, wenn rings um sie die Gesetze der Thermodynamik und der Newton’schen Physik außer Kraft gesetzt wurden? Wie abgefahren war das denn! Dem Test galt nicht ihr Hauptaugenmerk, ja, er war im Grunde das am wenigsten Interessante im ganzen Saal. Was sie noch immer als die normale Reaktion einer vernünftigen, intelligenten Person auf diese Situation verteidigte.
Doch jetzt war Quentin
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