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Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

Titel: Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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Eleanor schien es nicht zu stören.
    »Nein«, antwortete sie leichthin. Weder blickte sie auf, noch unterbrach sie ihre Malerei.
    »Weißt du, wann sie wiederkommt?«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. Was war das für eine Mutter, die ihr fünfjähriges Kind sich selbst überließ? Quentin empfand Mitleid mit Eleanor. Sie war ein süßes, ernstes kleines Mädchen. Sie weckte väterliche Gefühle ihn ihm, die er zwar ungewohnt, aber ganz schön fand. Offenbar erhielt sie nicht viel Zuwendung, und wenn, strotzte diese nicht gerade vor Mutterliebe.
    »Na schön. Wir müssen bald abreisen, aber wir warten noch auf sie.«
    »Das müssen Sie nicht.«
    »Doch, in gewisser Weise schon. Malst du immer noch Kaninchen-Pegasi?«
    »Ja.«
    »Hm, ich glaube, es könnten Hasen- und keine Kaninchen-Pegasi sein. Hasen sind größer und viel wehrhafter.«
    »Es sind Kaninchen.«
    Die ewige Frage. Eleanor wechselte das Thema.
    »Ich habe etwas für Sie gemalt.«
    Mit einiger Mühe zog sie eine Schublade auf. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit klemmte sie und fiel beim nächsten Ruck heraus auf den Fußboden. Eleanor kramte darin herum, suchte vier, fünf Blätter Papier heraus und reichte sie Quentin. Sie waren über und über mit Buntstift bemalt.
    »Das sind Pässe«, nahm sie die Antwort auf seine Frage vorweg. »Sie brauchen sie, wenn Sie Fillory verlassen wollen.«
    »Wer sagt, dass ich Fillory verlasse?«
    »Sie brauchen sie, falls Sie Fillory verlassen«, präzisierte sie. »Wenn nicht, dann brauchen Sie sie nicht. Sie sind nur für alle Fälle.«
    Dann fügte sie leiser hinzu: »In der Mitte falten müssen Sie sie selbst.«
    Sie musste die Pässe von offiziellen Dokumenten abgezeichnet haben, weil sie an sich eindrucksvolle Papiere darstellten. Auf der Vorderseite trugen sie das Wappen von Fillory, oder besser: ein krudes Faksimile dessen. Auf der Innenseite von Quentins Pass – nach dem Zusammenfalten – sah man ein Bild von ihm, einigermaßen ähnlich, den roten Mund zu einem breiten Lächeln verzogen, eine Goldkrone auf dem Kopf, dazu einige Kritzellinien, die Schrift darstellen sollten. Auf der Rückseite prangte das Wappen der Außeninsel: eine Palme und ein Schmetterling. Eleanor hatte für jeden auf der
Muntjak
einen Pass gebastelt, sogar für das Faultier, das sie zwar nie gesehen hatte, für das sie sich aber lebhaft interessierte. Sie muss sich hier ohne andere Kinder zu Tode langweilen, dachte Quentin. Sie musste sich praktisch allein großziehen.
    Er konnte es ihr nachfühlen. Auch er war ein Einzelkind, und auch ihm hatten seine Eltern wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Sie betrachteten ihre Auffassung von Elternschaft als ziemlich aufgeklärt: Sie lehnten es ab, Gluckeneltern zu sein, deren Leben sich um ihr Kind drehte. Sie ließen Quentin sehr viel Freiheit und verlangten wenig von ihm. Doch wenn nie etwas von einem verlangt wird, geschieht etwas Seltsames: Irgendwann fragt man sich, ob man vielleicht einfach nichts Wichtiges zu geben hat.
    »Danke, Eleanor. Das ist sehr, sehr lieb von dir.« Er bückte sich und küsste sie auf den blonden Scheitel.
    »Weil Sie mir den Kuchen gebracht haben«, antwortete sie schüchtern.
    »War doch Ehrensache.«
    Armer Schatz. Wenn er nach Whitespire zurückgekehrt war, sollte er vielleicht das fillorianische Äquivalent eines Jugendamts ins Leben rufen.
    »Wir warten hier, bis deine Mutter zurückkommt.«
    »Das brauchen Sie nicht.«
    Dennoch wartete er so lange wie möglich. Sie verbrachten den Tag damit, im Zollamt herumzulungern und vom Steg aus zu angeln. Quentin unternahm einen weiteren Versuch, Eleanor mit Hilfe der Uhrenpalme die Uhr beizubringen, biss aber erneut auf Granit. Gegen vier Uhr nachmittags gab Quentin auf. Er beauftragte Benedikt damit, Eleanor trotz ihrer lautstarken Proteste in die Stadt zu bringen und sie in die Obhut verantwortungsvoller Erwachsener zu geben. Dann beorderte er alle anderen zurück auf die
Muntjak
, die inzwischen frisches Wasser und Proviant aufgenommen hatte.
    Benedikt kehrte eine Stunde später zurück, mitgenommen, aber erfolgreich. Sie lichteten den Anker, als die ersten Sterne aufgingen. Der Vergnügungsausflug war vorbei. Sie setzten die Segel und nahmen Kurs auf Schloss Whitespire.

Kapitel 6
    N ach der Geschichte mit ihrem falschen Sozialkundeaufsatz geschah etwas Seltsames mit Julia. Fast hätte man es als Zaubertrick bezeichnen können. Wo es vorher nur eine Julia gegeben hatte, waren jetzt zwei, eine für jede Erinnerung.

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