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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Reategui
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Gegend um Jülichs Burgen herab über das
Hügelland bis hierher, wo das Dickicht endete und den Blick freigab auf die
entfernt liegende Stadt. Trotzdem fühlte er sich weder erschöpft noch müde.
Während der Feuerball der Sonne hinter ihm den Horizont berührte, warf er den
Kopf in den Nacken und erkundete witternd seine Umgebung.
    Die Eindrücke waren übermächtig.
Er roch das Wasser vom Fluss, den Schlamm an den Ufern, das faulige Holz der Schiffsrümpfe.
Er sog die Melange der Ausdünstungen in sich hinein, in der sich Tierisches mit
Menschlichem und Menschgemachtem mischte, parfümierte Weine und Fäkalien,
Weihrauch, Torf und Fleisch, das Salz verschwitzter Leiber und der Duft teurer
Pelze, Blut, Honig, Kräuter, reifes Obst, Aussatz und Schimmel. Er roch Liebe
und Angst, Furcht, Schwäche, Hass und Macht. Alles dort unten sprach eine
eigene, duftende Sprache, erzählte ihm vom Leben hinter den steinernen Wällen
und vom Tod.
    Er drehte den Kopf.
    Stille. Nur das Flüstern der Wälder ringsum.
    Reglos wartete er, bis das Gold von der Mauer gewichen war und nur
noch auf den Zinnen der Torburgen schimmerte. Eine kurze Weile, und es würde
ganz verlöschen und den Tag der Erinnerungslosigkeit preisgeben. Die Nacht
käme, um das Tal mit neuen, dumpfen Farben zu überziehen, bis auch diese den
Schatten weichen und das Glühen seiner Augen die einzigen Lichter sein würden.
    Die Zeit war nahe, da die Wölfe Einzug in die Träume der Menschen
hielten. Die Zeit des Wandels und der Jagd.
    Mit geschmeidigen Bewegungen lief der Wolf die Anhöhe hinunter und
tauchte ein ins hohe, trockene Gras. Wenig später war er darin verschwunden.
    Vereinzelt begannen die Vögel wieder zu singen.

10. September
    Ante portas
    Â»Ich finde, es ist kalt.«
    Â»Ihr findet immer, es ist kalt. Ihr seid weiß Gott eine
erbarmungswürdige Memme.«
    Heinrich zog den Mantel enger um seine Schultern und funkelte den
Reiter neben ihm zornig an.
    Â»Das meint Ihr nicht so, Mathias. Ihr meint nicht, was Ihr sagt. Es
ist kalt.«
    Mathias zuckte die Achseln. »Verzeiht. Dann ist es eben kalt.«
    Â»Ihr versteht mich nicht. Mir ist kalt im Herzen.« Heinrichs Hände
beschrieben eine theatralische Geste. »Dass wir zu solchen Mitteln greifen müssen!
Nichts liegt mir ferner als die Sprache der Gewalt, so wahr der barmherzige
Gott mein Zeuge ist, jedoch –«
    Â»Er ist nicht Euer Zeuge«, unterbrach ihn Mathias.
    Â»Was?«
    Â»Warum sollte Gott seine kostbare Zeit auf Euer Zetern und Jammern
verschwenden? Es wundert mich, dass Ihr überhaupt aufs Pferd gefunden habt um
diese Stunde.«
    Â»Mit Verlaub, Ihr werdet unverschämt«, zischte Heinrich. »Zollt mir
gefälligst ein bisschen Respekt.«
    Â»Ich zolle jedem den Respekt, den er verdient.« Mathias lenkte sein
Pferd um einen gestürzten Ochsenkarren herum, der unvermittelt aus der
Dunkelheit vor ihnen aufgetaucht war. Die Sicht nahm rapide ab. Den ganzen Tag
über hatte die Sonne geschienen, aber es war September, und abends wurde es
jetzt schneller kalt und dunkel. Dann stiegen Nebel empor und verwandelten die
Welt in ein düsteres Rätsel. Kölns Stadtmauer lag inzwischen mehr als einen
halben Kilometer hinter ihnen, und sie hatten lediglich die Fackeln. Mathias
wusste, dass Heinrich sich vor Angst fast in die Hosen machte, und das erfüllte
ihn mit einer grimmigen Belustigung. Heinrich hatte seine Vorzüge, aber Mut
gehörte nicht dazu. Er trieb sein Pferd zu größerer Eile und beschloss, ihn zu
ignorieren.
    Im Allgemeinen fiel es niemandem ein, um diese Zeit die Stadt zu
verlassen, es sei denn, man warf ihn hinaus. Die Gegend war unsicher. Überall
trieben sich Banden von Strolchen und Tagedieben herum, ungeachtet des
Landfriedens, den der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden im Einklang mit
den geistlichen und weltlichen Fürsten der umliegenden Gebiete ausgerufen
hatte. Das war 1259 gewesen, nicht mal ein Jahr zuvor. Es gab ein Papier
darüber, schwer von Siegeln. Glaubte man dem Wisch, konnten Wanderer und
Kaufleute nun das Rheinland durchqueren, ohne von Raubrittern und anderen Wegelagerern
ausgeplündert und umgebracht zu werden. Aber was tagsüber einigermaßen
funktionierte, vor allem, wenn es darum ging, die Kaufleute für das magere
Schutzversprechen zur Kasse zu bitten, verlor nach Sonnenuntergang jede
Gültigkeit. Erst

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