Final Cut - Etzold, V: Final Cut
als im diffusen Licht der Taschenlampen. Der enthauptete Körper eines Mädchens, dessen Kopf vierzig Zentimeter über der verstümmelten Leiche auf einem Regal stand und diabolisch in Richtung der Eingangstür des Zimmers grinste.
Clara hatte den Geruch nach Angst und Blut wahrgenommen, nicht aber den Geruch des Todes, weil der Verwesungsprozess noch nicht eingesetzt hatte. Weil der Mord erst drei Stunden her war. An dem Halsstumpf, der aus dem weißen Nachthemd ragte, waren Bissspuren gewesen. Zuerst hatte Clara wirklich an Vampirismus gedacht, doch die Bissspuren stammten von einer Katze, die unter das Bett geflohen war, als das Einsatzkommando das Zimmer gestürmt hatte. Die Katze trug ein Halsband, an dem in goldenen Buchstaben ihr Name hing: »Princess«.
Sein Werk ist fast vollendet, hatte MacDeath gesagt. Und sie hatten es wieder nicht verhindern können.
»Wieder eine hübsche junge Frau«, sagte von Weinstein und rückte seine Brille zurecht. »Er hat ihr die Kehle durchgeschnitten und den Kopf abgetrennt, soweit ich es auf den ersten Blick beurteilen kann.« Er zog sich die Handschuhe an und zeigte mit einem dünnen Metallstab auf eine verknorpelte, blutige Stelle am Kehlkopf der Leiche. »Hier, in den oberen Bronchien, hat Aspiration von Blut in die Luftröhre stattgefunden. Das Opfer lebte also, als ihm eine der beiden Halswunden beigebracht wurde. Die Frage ist, was zuerst da war.«
Die Reihenfolge von tödlichen Verletzungen festzustellen und herauszufinden, welche Wunde nun wirklich tödlich gewesen war, war eine der wichtigsten Aufgaben der Rechtsmedizin. Clara kannte zahlreiche Fälle, wo ein Opfer erst erwürgt und nachträglich aufgehängt worden war, damit es wie ein Suizid aussah. Oder jemand wurde totgeprügelt und dann auf eine Straße gelegt, wo ein LKW über die Leiche fuhr und die Täter darauf hofften, dass die Ermittler an einen Verkehrsunfall glaubten und nicht an Mord.
In den allermeisten Fällen durchschaute die Rechtsmedizin solche Tricks, da man anhand von Wundrändern genau feststellen konnte, wann was geschehen war.
Von Weinstein legte den Metallstab an die Schnittwunde in Höhe des Kehlkopfes. »Die Durchtrennung der Halsschlagader weist Wundränder auf, also Vitalitätszeichen«, sagte er, »während die Wundränder an Rumpf und Kopf, die durch die Enthauptung entstanden sind, nichts dergleichen aufweisen.« Er schaute Clara und MacDeath an. »Die Dekapitation hat demnach post mortem stattgefunden.«
Clara atmete auf. Gott sei Dank hatte der Irre das Mädchen erst nach dem Tod geköpft. Das eingeatmete Blut, das über die durchtrennte Luftröhre in die oberen Bronchien gelangt war, konnte von beiden Wunden stammen. Doch die Wundränder an der Kehle waren leicht verschorft, und Blut war in großen Mengen hervorgetreten – ein Beweis, dass das Opfer zu diesem Zeitpunkt noch gelebt hatte. An den Wundrändern von Rumpf und Kopf waren infolge der Enthauptung keine sogenannten »Vitalitätszeichen« zu sehen, da das Mädchen zu diesem Zeitpunkt bereits tot gewesen war. Anhand dieser Vitalitätszeichen konnten Rechtsmediziner nicht nur feststellen, welcher Gewaltakt die Ursache für den Eintritt des Todes war, sondern auch, welche Waffe den Tod verursacht hatte, was besonders bei Morden mit mehreren Beteiligten und verschiedenen Waffen eine Rolle spielte.
Von Weinstein beschrieb mit seinem Metallstab eine lange Linie vom Rumpf bis zur Hüfte der Toten. »Er hat auch hier den Oberkörper von der Kehle bis zum Schambein aufgeschnitten und die Innereien entnommen«, sagte er. »Anschließend hat er der Leiche das weiße Nachthemd angezogen und damit sein Werk, wenn auch für kurze Zeit, verdeckt.«
Clara fand den Anblick auch so schrecklich genug. Der abgetrennte Kopf, der sie mit aufgerissenen Augen und offenem Mund urplötzlich im Licht der Taschenlampe angegrinst hatte, gehörte eindeutig in die Kategorie traumatischer Anblicke, die man so schnell nicht vergaß.
»Ich denke, er hat sie absichtlich verdeckt«, sagte MacDeath.
»Das ist möglich«, sagte von Weinstein, »der Mord ist nicht allzu lange her.« Er tippte mit dem Metallstab auf den Oberkörper der Leiche. Clara wünschte, er würde sich das irgendwann einmal abgewöhnen.
»Todeszeit?«, fragte sie.
»Heute am frühen Abend«, sagte von Weinstein und schaute in den Bericht der Kriminaltechnik, der neben dem Sektionstisch auf einem Tisch lag.
»Die Kriminaltechnik hat gleich nach ihrem Eintreffen die
Weitere Kostenlose Bücher