Final Cut - Etzold, V: Final Cut
den ersten echten »Snuff« gesehen?
Wofür immer Menschen zu zahlen bereit sind, das gibt es, sagen manche. Wenn die Leute also für Snuff Movies zahlten, dann gab es sie auch.
Snuffs sind wie der Heilige Gral, sagten andere, auch das FBI. Ständig gesucht, oft diskutiert, aber nie gefunden.
Hoffentlich , dachte Clara. Aber warum hatte jemand ihr das Video geschickt? Hatte die Tat irgendeine Bedeutung? Oder hatte sie, Clara, irgendeine Bedeutung in dem Film? War es ein Hinweis auf eine im Untergrund operierende Snuff-Mafia, die grausame Hinrichtungen für perverse Zuschauer filmte? Wollte ein Gangmitglied das andere verpfeifen, indem es die CD-ROM der Polizei zuspielte? Oder wollte die Mafia zeigen, wie mächtig sie war? Wollte sie zeigen, dass selbst das LKA machtlos war gegen ihr weltweites Vertriebsnetz zum Verkauf von Filmen, die man auch »Torture Porn« nannte?
Oder ...
Clara versuchte, den Gedanken zu verdrängen, als er aufkam, doch ihr Hirn meldete ihn bereits mit stoischem Pflichtbewusstsein:
Oder wollte man sie, Clara, darauf vorbereiten, dass sie die Nächste auf dem Folterstuhl war?
Sie zitterte – und das nicht wegen des kalten Windes, der in ihr Wohnzimmer blies und die Vorhänge wie in einer Gespenstergeschichte ins Zimmer wehen ließ. Sie trank einen großen Schluck Whisky und blickte jetzt doch mit einer gewissen Beruhigung auf das Polizeifahrzeug, das unten an der Straße stand.
Es gab keine andere Möglichkeit. Sie musste herausfinden, welche Botschaft in dem Video steckte. Sollte MacDeath recht haben, und die CD war für sie bestimmt, musste irgendein Hinweis darauf zu finden sein. Aber bis jetzt hatten sie keinen gefunden.
Clara schaute zum Himmel, wo dunkle Regenwolken wie zerknüllte Gewänder am nachtschwarzen Firmament vorüberzogen. Eigentlich hatte sie eine Tablette nehmen wollen, um ein paar Stunden Schlaf zu finden, aber ein Gedanke kroch in ihrem Inneren hoch, so wie sich vorhin der saure, ekelhafte Kloß in ihrer Speiseröhre in die Höhe bewegt hatte. Es war ein Gedanke, der ebenso perfide war wie die Vorstellung, sie selbst könnte der nächste »Star« in einem Snuff-Video sein. Ein furchtbarer Gedanke, völlig irrational, aber gerade deshalb nicht aufzuhalten. Die rationale Seite ihres Hirns, die am Ende doch immer den Kürzeren zog, fuhr bereits reihenweise Gegenargumente auf, die Clara in einer Breitseite nach der anderen auf den einen Gedanken abfeuerte: Es ist viel zu spät ... die Spurensuche ist doch schon dran ... warte bis morgen, du kannst eh nichts unternehmen ... wenn du dir das noch mal anschaust, wirst du die ganze Nacht nicht schlafen ...
Doch wie jedes Mal waren sämtliche Gegenargumente nutzlos, und der dunkle Gedanke schob sich weiter in die Höhe und durchbrach schließlich die Oberfläche.
Clara ging zu ihrer Tasche und holte Laptop und CD heraus. Sie musste wissen, ob es einen Hinweis gab. Und wenn es ihn gab, musste sie ihn finden.
Sie würde sich das Video noch einmal anschauen.
Und wenn es sein musste, noch einmal.
Und noch einmal.
18.
»Was war denn da los?« Schweine-Jochen starrte Torino vom Beifahrersitz des Boxters mit noch weiter hervorstehenden Augen an als gewöhnlich, während Torino den Wagen von Potsdam aus auf die Avus Richtung Berlin steuerte. »Ich geb’s ja zu, die sah geil aus, aber du bist der Moderator und nicht die.«
Torino schwieg ein paar Sekunden und starrte auf die regennasse Fahrbahn. Er hatte gerade versucht, Tom Myers zu erreichen, aber seit einer Stunde meldete sich nur die Mailbox. Wo steckte der Kerl? Torino schob den Blackberry in die Tasche.
»Ich hab’s mir auch überlegt«, sagte er, »aber sieh es mal so. Wenn der knallharte Showmaster, der diese Schlampen einnordet, dass sie nur noch so klein sind mit Arschgeweih«, Torino machte mit Daumen und Zeigefinger eine Geste und ließ seinen Blick eine Sekunde auf Jochen ruhen, »wenn der also selbst nicht mehr weiterweiß und ihm die Worte fehlen, dann ist das doch hundert Prozent authentisch, oder?« Wieder blickte er Jochen an. Der schwieg.
»Oder?«, bohrte Torino nach.
»Vielleicht«, sagte Jochen.
»Vielleicht«, äffte Torino ihn nach. »Natürlich!«
Sie jagten wieder an Dreilinden vorbei. Torino sah kurz den Steinbären, der in der Mitte der Autobahn zwischen den Fahrstreifen die Reisenden nach Berlin begrüßte. »Wie war das damals mit Verona Feldbusch bei Kerner, als die plötzlich losgeheult hat, weil der Bohlen sie so beschissen behandelt
Weitere Kostenlose Bücher