Final Cut - Etzold, V: Final Cut
wenn sie geschrien hätte? Der Killer hätte sie binnen einer Sekunde töten können. Selbst wenn die Polizei ihn dann festgenommen hätte – sie wäre tot gewesen. Also besser kooperieren . Vielleicht geht es dann vorbei. Ein Perverser, der sein Filmchen drehen will und dann verschwindet.
Clara dachte an die Filmszene. Die Hoffnung war in dem Moment aus Jasmins Augen gewichen, als sie den kalten Stahl des Messers an ihrer Kehle gespürt hatte. Als sie gewusst hatte, dass nach dem Dreh nichts mehr kommen würde als der Tod.
Hermann hatte eine Word-Datei auf dem Rechner gefunden. Dort standen die Worte, die Jasmin selbst gesprochen hatte, die Predigt zu ihrer eigenen Beerdigung. Ein Teleprompter wie bei einem Nachrichtensprecher. Ein Teleprompter des Todes.
Ich bin Jasmin.
Ich bin bereits tot, doch das Chaos geht weiter.
Ich bin nicht die Erste, und ich bin nicht die Letzte.
Die Spurensuche hatte Reste von Blut auf dem Teppich unter dem Sekretär gefunden. A Rh positiv. DNA von Leiche und Blut waren identisch. Dort war der Mord geschehen. Kein Zweifel.
Was kam dann?
Der Mörder hatte die Leiche ausbluten lassen, aufgeschnitten, ausgeweidet. Das Blut vielleicht in Kanistern mitgenommen, die Innereien in irgendwelchen Behältnissen, die er später möglicherweise verbrannt hatte.
Ein Gedanke durchzuckte Clara.
Oder hat er sie gegessen?
Sie verscheuchte den abscheulichen Gedanken. Zuerst die wichtigen Dinge.
Wie war der Täter in Jasmins Wohnung gekommen?
Hatte er geklingelt?
Ein weiterer Kasten, bei Before Kill :
Überfallen.
Er hatte es irgendwie geschafft, in die Wohnung zu kommen. Jasmin musste entweder überrumpelt worden sein, oder sie hatte ihm vertraut.
War er das Date, mit dem Jasmin sich verabredet hatte? Hatte er sie niedergeschlagen und betäubt, und war sie dann gefesselt auf dem Stuhl aufgewacht?
»Hör zu, wir drehen einen kleinen Film. Wenn du schreist, bist du tot. Wenn du mitmachst, wirst du leben.«
Die Rechtsmedizin hatte Reste von Chloroform gefunden, winzige Partikel in den vertrockneten Überresten von dem, was einmal die Nasenschleimhaut des Mädchens gewesen war.
Clara kam ein anderer Gedanke.
Die Word-Datei mit dem Text zur Hinrichtung war auf den 10. März datiert, abgespeichert um 17.15 Uhr.
Jasmin war allerdings erst um 18.15 Uhr in Berlin angekommen.
Hatte der Killer das alles seelenruhig vorbereitet?
In Jasmins Wohnung?
Jasmin hatte der Welt gesagt, dass sie nach Hannover fährt: Jasmin Peters setzt sich gleich in den Zug, um ein erholsames Wochenende in Hannover zu verbringen.
Wie schwierig ist es, einen Schlüssel für eine Wohnung zu bekommen, die einem gar nicht gehört?
Für den, der es darauf anlegt, nicht allzu schwierig.
Wenn der Killer Jasmins Postings gelesen hatte, hatte er gewusst, dass sie erst am Sonntagabend zurückkommen würde.
Clara kam ein beängstigender Gedanke.
Er hat sie gar nicht besucht. Er hat sie erwartet.
Ist es nicht so, dass man Leute, die man interessant findet, googelt? Dann fängt man an, ihre Facebook-Postings zu verfolgen, ärgert sich vielleicht, dass sie mit jedem sprechen und mailen, aber trotzdem niemals Zeit für einen haben? Erotomanie, die nicht erwiderte Zuneigung zu einem Menschen, die obsessive, irgendwann vielleicht pathologische Züge annimmt.
Man weiß die Adresse, schaut sich bei Google Maps die Wohnung an, vielleicht die Wohnung der Eltern, die woanders leben, geht dann bei Google Street View noch einmal ins Detail und hofft, dass nichts gepixelt ist.
Stalker gehen noch weiter. Sie dringen in die Wohnung des Objekts ihrer Begierde ein, schauen sich im Wohnzimmer um, lauern auf dem Balkon und beobachten, wenn der oder die Angebetete das Wohnzimmer betritt. Manche dringen sogar in die Wohnung ein, wenn ihr Idol nicht da ist, legen sich ins Bett und masturbieren, ehe sie die Wohnung wieder verlassen, als wäre nichts gewesen.
Hat er es genau so gemacht? Erst Facebook, dann Google Maps, dann Jasmins E-Mail-Accounts, bis er alles wusste, bis er sie live treffen musste, weil es die einzige Steigerung war, die noch blieb?
Er hatte Jasmins Wohnung vielleicht schon am Nachmittag betreten und sich die Zimmer angeschaut. Die Urlaubsfotos im Wohnzimmer, die Weinflaschen in der Küche, das New-York-Poster und die Schwimmweste von British Airways. Vielleicht hatte er in den Schrank geschaut, nach der Freizeitkleidung und den Partykleidern, hatte sich die Schuhe angesehen und die Unterwäsche.
Dann hatte er still in
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