Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Totenkäfer. Er wird auch Totenansager genannt, weil er in früheren Zeiten als Vorbote kommenden Unheils angesehen wurde.«
Das Schlimmste kommt also noch, dachte Clara.
»Diese Käfer werden zwanzig bis dreißig Millimeter lang und gehören zu den Kulturfolgern , also zu den Tieren, die fast ausschließlich in menschlichen Siedlungen leben. Dort vor allem an dunklen und feuchten Orten wie Scheunen und Kellern. Die Käfer sind nachtaktiv. Sie verbergen sich tagsüber in dunklen Ritzen, während sie nachts auf Nahrungssuche gehen.«
»Wovon ernähren sie sich?«, fragte Clara.
» Blaps Mortisaga sind omnivor«, sagte von Weinstein. »Das heißt, sie ernähren sich von allem, egal, ob Pflanze oder Lebewesen, egal, ob lebend oder tot.«
»Sie sind also geeignet, die Feuchtigkeit aus einer Leiche zu saugen?«, fragte Winterfeld.
»Ja, wie nur wenige andere Lebewesen.« Von Weinstein nickte.
»Können sie fliegen?«, fragte Clara.
»Einige ja, einige nein. Die, mit denen wir es zu tun haben, sind flugunfähig.«
Clara nickte. Wäre auch kontraproduktiv, dachte sie.
»Noch etwas, das wir wissen sollten?«
Von Weinstein schüttelte den Kopf. »Das war’s erst einmal.«
»Danke«, sagte Winterfeld und schob den Stapel mit dem Ermittlungsbericht zusammen. »Clara, Hermann, ihr habt euch den Rechner genau angeschaut. Was gab es da?«
»Der Killer hat die gesamte Kommunikation von Jasmin Peters übernommen«, sagte Clara. »Er hat in ihrem Namen auf Social-Network-Plattformen wie Facebook von den verschiedensten Orten Postings durchgeführt, um die Freunde von Jasmin hier in Berlin und auch die Eltern in dem Glauben zu lassen, sie würde noch leben.«
»Cleverer Bursche«, sagte Winterfeld. Er blätterte durch den Bericht. »Ihr schreibt hier, dass die letzten Worte genau dann gepostet wurden, als ihr am Rechner gesessen habt, eine Art zynische Bestandsaufnahme: Jasmin Peters ist tot. « Er fuhr sich durch die Haare. » Glaubt ihr, er hat gewusst, dass ihr online seid?«
Hermann nickte. »Könnte sein. Die IT ist noch dabei, Genaueres herauszufinden, aber wie es aussieht, hat er auf Jasmins Laptop ein Rootkit installiert, das ihm sofort meldet, wenn jemand mit dem Laptop online geht. Und das können ja eigentlich nur wir gewesen sein.«
»Jäger und Gejagte«, sagte Winterfeld und wandte sich an Hermann. »Wisst ihr schon, von welchem Rechner aus das letzte Posting kam?«
»Die Postings, die er sozusagen stellvertretend für Jasmin vorgenommen hat, kamen alle von einem anderen Rechner, nicht von dem, der in Jasmins Wohnung stand. Diesen Rechner hat er offenbar die ganze Zeit in ihrer Wohnung stehen gelassen.«
»Irgendwelche Spuren?«, fragte Winterfeld.
Hermann schloss die Darstellung mit dem Käfer und klickte zu einer neuen Präsentation.
»Die alten Postings zurückzuverfolgen, die schon mehrere Monate alt sind, ist langwierig«, sagte er, »aber wir haben die IP-Adresse der Todesmeldung herausfinden können, wenn wir sie mal so nennen wollen. Leider hilft uns die nicht sehr viel weiter.« Er klickte auf die Tastatur des Präsentationslaptops, und ein Stadtplan von Berlin erschien an der Wand. Eine Adresse nahe dem Kottbusser Tor war rot eingerahmt.
»Ein Café mit drahtlosem Internet-Zugang in der Skalitzer Straße ungefähr anderthalb Kilometer Luftlinie vom Tatort entfernt. Die Jungs von der Streife waren eben dort«, sagte Hermann. »Ihr kennt das ja, man kann sich da mit seinem Laptop hinsetzen und sich gleichzeitig ins WLAN einloggen. In diesem Café sogar ohne Codewort.«
WLANs ohne Codewort waren mittlerweile eine Seltenheit, doch es gab sie noch immer. Die meisten Anbieter von Wireless Hotspots hatten schnell auf codewortgeschützte Zugänge umgestellt, nachdem die ohne Codewort ein paar Mal zu oft von Pädophilen genutzt worden waren, die sich aus dem Auto von einem Parkplatz aus heimlich über fremde WLANs Kinderpornographie heruntergeladen hatten. Die Pädophilen blieben unerkannt, doch die Café- oder Hotelbetreiber hatten plötzlich unerfreulichen Besuch von bewaffneten Männern mit Dienstmarken und wenig Sinn für Humor.
Winterfeld nestelte mürrisch dreinblickend an seiner Zigarilloschachtel herum. Hermann sprach weiter.
»Der Täter hat also entweder in dem Café gesessen, als er gepostet hat, oder er saß in einem Auto vor dem Café, ist kurz online gegangen, hat gepostet und ist dann gleich weitergefahren.«
»Hilft uns die Information?« Winterfeld schaute noch mürrischer
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