Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Solch eine Nachricht zu überbringen war manchmal härter, als den schlimmsten Killer zu jagen. Man musste fest und bestimmt sein – und fast ohne Mitleid. Manche nahmen es mit Fassung, sagten gar nichts. Manche bedankten sich sogar für die Information und weinten dann für sich. Andere rasteten aus, nahmen ihre Wohnung auseinander, mussten mit Beruhigungsspritzen außer Gefecht gesetzt werden.
»Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Tochter ermordet worden ist.« Keine Emotionen zeigen, keine Hoffnungen wecken. Man bleibt kurze Zeit und geht wieder. Den Rest erledigen die Psychologen, die immer dabei sind. Ein Gespräch von fünf Minuten, das eine Welt für immer zerstört.
»Den Todeszeitpunkt können wir nicht mehr genau feststellen«, fuhr von Weinstein fort, während Winterfeld die Drucke auseinanderpflückte und sich die verschiedenen Teile des Berichts durchlas, »doch aufgrund des Grades der Mumifizierung ist der März diesen Jahres als Todeszeitpunkt nicht unwahrscheinlich.«
Clara blickte auf die Ausdrucke, die Winterfeld auf seinem Platz verteilte und prüfend durchblätterte, während er von Weinstein lauschte. Eines der Fotos zeigte Ober- und Unterkiefer, die entfernt worden waren; ein anderes Bild zeigte das mumifizierte Gesicht ohne Kiefer; anstelle von Kinn und Lippen klaffte ein riesiges Loch, das in dem grotesk vertrockneten, augenlosen Gesicht wie ein immerwährender Schrei aussah.
»Sonst noch etwas?«, fragte Winterfeld.
»Allerdings«, sagte von Weinstein. »Der Verdacht eines Sexualdelikts hat sich erhärtet. Wir haben im Vaginalbereich der Leiche Spuren von Spermien identifiziert.«
Sexualdelikt, dachte Clara. Mein Gott. Hat er sie vergewaltigt und dann den Film gedreht? Oder hat er sie erst getötet und dann ...
Winterfelds Stimme unterbrach ihre Gedanken. »Passt das zu den Ergebnissen der Spurensuche? Hermann?«
Hermann schob Laptop und Beamerkabel zur Seite und räusperte sich, bevor er sprach: »Zunächst einmal gute Nachrichten. Die Spurensuche hat männliche DNA in der Wohnung gefunden. Ebenso an der Leiche. Beide sind identisch.«
»Identisch mit der DNA in den Spermien?« Winterfeld blickte von Weinstein an.
»Identisch«, sagte der und nickte.
»Bingo«, meinte Winterfeld. »Das bedeutet, wir haben die DNA von dem Kerl, der in Jasmins Wohnung war, der sie vergewaltigt und höchstwahrscheinlich getötet hat.« Er schaute in die Runde. »Haben wir diesen Kerl irgendwo gespeichert? Ist er vorbestraft? Oder müssen wir jetzt die Riesen-Speichelprobe in ganz Berlin durchführen?«
»Ich hoffe nicht«, sagte Hermann. »Die Analyse läuft. Wir fragen zuerst bei den Krankenhäusern nach, ob die noch Blut- oder Gewebeproben oder Ähnliches haben, mit denen man einen DNA-Test vornehmen könnte. Ich würde aber nicht zu viel erwarten. Was meinen Sie?« Er schaute von Weinstein an.
»Wenn die Blutentnahme nicht allzu lange zurückliegt und die DNA in einer Datenbank eingetragen ist, könnten wir Glück haben. Normalerweise haben Sie recht, in der Regel wird nur die DNA von vorbestraften Tätern gespeichert. Seit Neuestem läuft aber der Aufbau einer DNA-Datenbank des BKA, die sämtliche deutschen Staatsbürger erfassen soll, vergleichbar der CODIS-Datenbank des FBI in den USA.« Er putzte seine Brille, während er sprach. »Diese Datenbank wird seit einigen Monaten peu à peu mit DNA und Personendaten gefüttert, und zwar von allen Einwohnern, nicht nur den Vorbestraften.«
»Das heißt, wenn der Täter vor nicht allzu langer Zeit in medizinischer Behandlung in einem großen Krankenhaus war ...«, warf Clara ein.
»... dann könnte es sein, dass wir die DNA einer bestimmten Person zuordnen können«, ergänzte von Weinstein. »Ansonsten wird es langwierig.«
»Big Brother lässt grüßen, aber gut für uns«, sagte Winterfeld. »Jetzt zu den Käfern.« Er machte eine einladende Handbewegung zu Dr. von Weinstein, der wieder übernahm.
»Einer unserer Entomologen ist spezialisiert auf Verwesungsprozesse und insektenfraßtypische Defekte an Leichen«, sagte von Weinstein und gab Hermann ein Zeichen.
Der stöpselte das Kabel des Laptops in den Beamer. Das Bild eines schwarzen Käfers erschien an der gegenüberliegenden Wand. Es war einer der Käfer, wie sie zu Hunderten in dem Zimmer gewesen waren: kleiner Kopf, eiförmiger Panzer, zwei Fühler, sechs Beine, alles mattschwarz.
» Blaps Mortisaga «, sagte von Weinstein, den Bericht des Entomologen in der Hand. »Großer
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