Final Cut - Etzold, V: Final Cut
einer Ecke des Schlafzimmers gesessen und gelauscht, bis Schritte auf der Treppe zu hören waren. Die Behälter, die Eimer, die Gefäße mit den Käfern standen bereits in den Ecken des Schlafzimmers. Und die Besitzerin des Zimmers, die beschwingt die Treppe hinaufstieg, ahnte keine Sekunde, was für seltsame Gerätschaften in ihrem Schlafzimmer auf sie warteten. Sie hatte keinen Schimmer, dass jemand auf dem Stuhl vor ihrem Sekretär saß oder hinter der Schlafzimmertür lauerte – ein Raubtier, hungrig, wachsam, geduldig.
Ein weiterer Kasten, unter dem von Überfallen :
Erwarten.
Er hört die Geräusche des Schlüssels an der Tür, hört, wie der Schlüssel mit einem metallischen Klingeln auf die Ablage im Flur gelegt wird. Wo wird sie als Nächstes hingehen? Sie geht ins Wohnzimmer, macht Musik an. Der Killer hört ihre Schritte wegen der Musik jetzt leiser. Wann kommt sie ins Schlafzimmer? Vielleicht geht sie noch in die Küche, um Tee zu kochen, oder ins Bad.
Er lauert hinter der Tür des Schlafzimmers, den mit Chloroform getränkten Schwamm in der Hand, wartet, ohne zu atmen, so still, als wäre er tot.
Jetzt nähern sich die Schritte.
Sie kommt mit ihrer Tasche, geht an der Tür vorbei, wirft die Tasche aufs Bett.
Sie stutzt, als sie ihren Computer sieht. Er ist eingeschaltet, steht leuchtend auf dem Sekretär. Sie hatte ihn doch ausgeschaltet? Und wenn nicht, müsste doch längst der Bildschirmschoner ...
Mehr Zeit bleibt ihr nicht.
Sie zuckt zusammen, als sie die Hände spürt. Er presst den Schwamm mit Chloroform auf ihr Gesicht. Sie sinkt zu Boden.
Jetzt hat er sie so, wie er sie braucht.
Er holt das Klebeband.
Und die Handschellen.
Richtet den Computer ein. Und die Kamera ...
Clara spürte, wie ihr Herz schlug. Schweißperlen glitzerten auf ihrer Stirn. Sie hatte alles vor sich gesehen. Es hatte sich so real in ihrem Kopf abgespielt, als wäre es wirklich so geschehen.
Er hat sie erwartet, dachte sie. Es kann nicht anders gewesen sein. Er war in ihrer Wohnung, als sie kam. Zwei Personen haben an diesem Sonntag die Wohnung betreten, aber nur einer hat sie wieder verlassen.
In diesem Moment öffnete sich die Tür zu Claras Büro. Sie zuckte zusammen, so sehr war sie in ihren Gedanken gefangen. Winterfeld steckte seine Adlernase durch die Tür.
»Kommen Sie in mein Büro, Señora. Dr. von Weinstein ist gerade da«, sagte er, in der Hand eine Schachtel Zigarillos, von denen er wohl einen gerade wieder »nach draußen geraucht« hatte. »Er hat den Bericht des Entomologen dabei, mit neuen Infos zu diesen Käfern. Und die IT hat auch etwas herausgefunden.« Er kniff ein Auge zu. »Die Suppe wird allmählich heiß!«
28.
Der Nachmittag war angebrochen. Die ersten Schatten der Dämmerung streckten bereits ihre Finger nach dem ohnehin trüben, schmutzig grauen Regenhimmel aus.
Sie saßen an dem großen Konferenztisch in Winterfelds Büro. Hermann, MacDeath und von Weinstein hatten schon Platz genommen, als Winterfeld und Clara zur Tür hereinkamen.
Winterfeld ließ sich auf den Stuhl am Ende des Tisches sinken, vor ihm die Ermittlungsakte, die von Weinstein gleich aus der Rechtsmedizin mitgebracht hatte.
Von Weinstein, jetzt in Sakko und Hemd, ohne weißen Kittel, Mundschutz und Plastikschürze und deshalb kaum wiederzuerkennen, berichtete von den neuesten Untersuchungsergebnissen. Alle hörten ihm andächtig zu, während Clara sich setzte, so leise sie konnte, und ihr Notizbuch aufschlug. Hermann nestelte an von Weinsteins Laptop herum, um es an den Beamer anzuschließen, der ebenfalls auf dem Tisch stand.
»... wir haben zwei Zahnärzte kontaktiert. Jasmin Peters’ Zahnarzt in Berlin und den in Springe. Zahnstatus passt in beiden Fällen eins zu eins, zwei Inlays in den Fünfern oben rechts und links. Extraktion aller Weisheitszähne hat 2004 stattgefunden, und die Vierer sind im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung in den Neunzigern entfernt worden.« Von Weinstein nickte zur Bestätigung. »Damit ist die Leiche eindeutig identifiziert. DNA-Abgleich der Mumie und der Hautpartikel an der Kleidung und so weiter ist im Gange, aber das ist nur noch fürs Protokoll.«
Hermann machte sich eine Notiz.
»Hundert Prozent?«
Von Weinstein nickte noch einmal.
»Hundert Prozent.«
Hermann wandte sich an Winterfeld. »Ich sage den Kollegen in Hannover Bescheid, sie sollen die Eltern informieren.« Winterfeld nickte. Clara war froh, dass sich die Beamten in Hannover darum kümmerten.
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