Final Cut - Etzold, V: Final Cut
dann auf das Foto von Jasmin auf der Website. Ein weißer Sandstrand, im Hintergrund ein kleines Hafendorf, zwei Schiffe, die auf dem Strand lagen, zum Dorf hin einige Palmen.
»Gesetzt den Fall«, sagte Clara und blickte Hermann an, »das ist nicht irgendein netter Typ namens Jaques, sondern der Killer – woher weiß er, dass das Fuerteventura ist? Es könnte jeder andere Strand irgendwo im Süden sein.«
Hermann zuckte die Schultern. »Eine Möglichkeit ist, dass er wirklich mal dort war.«
Clara blickte skeptisch drein. Die Möglichkeit bestand, aber die Wahrscheinlichkeit war verschwindend gering.
»Okay, und wenn er noch nie dort gewesen ist? Und wenn er sich noch dazu in den Kopf gesetzt hat, genau diese Frau umzubringen? Und wenn er auf Teufel komm raus das Vertrauen dieser Frau gewinnen muss? Woher weiß er dann, dass das Fuerteventura ist, wenn er noch nicht dort gewesen ist?«
Hermann wackelte mit dem Kopf.
»Vielleicht ist er wirklich ein netter Kerl, und wir beißen uns am Killer fest.«
»Ich muss erst mal nur in eine Richtung denken, und in dieser Richtung ist dieser Bursche der Killer.« Clara merkte, dass ihre Stimme ein wenig schroff klang, aber das änderte nichts: Sie musste sich in das Denkmuster des Täters hineinversetzen.
Was war beim Vorgehen des Killers wichtig? Der erste Kontakt mit Jasmin musste sitzen. Der erste Schuss. Wie bei Bewerbungsgesprächen. Daher der geschickte Eröffnungszug, die Gemeinsamkeiten über das Hintergrundbild. Nicht der Frau genau das sagen, was ihr all die anderen notgeilen Typen schon gesagt haben. Und auch nicht blöd fragen: Wo ist das, wo du da stehst? Nein – wissen , wo sie steht. Gemeinsamkeiten schaffen. Und wenn man es nicht weiß, muss man es eben herausfinden. Und dann die nächste Frage: Warum gerade diese Frau? Weil er ihr Foto gesehen hat. Warum ist er dort hängen geblieben? Weil sie ihn an jemanden erinnert? Weil es diese Frau sein muss und keine andere? Aber warum?
In solchen Augenblicken konnte Clara in das Innere des Killers schauen. Sie konnte seine Wünsche sehen, seine logischen Schlüsse nachvollziehen, seine Begierden spüren. Es waren solche Augenblicke, in denen die U-Bahn kurzzeitig auf der Erdoberfläche fuhr, sichtbar wurde wie der schreckliche Wurm in den Eishöhlen der Antarktis bei H. P. Lovecraft, bevor sie wieder in der Finsternis des Untergrunds verschwand und unsichtbar zu einem neuen Schrecken raste.
Hermann verschränkte die Hände und ließ die Fingerknochen knacken. »Du willst es ganz genau wissen?«
»Ich will seine Methodik verstehen.«
»Wie er es gemacht hat?« Hermann atmete aus. »Je nachdem, wie gut er sich im Internet auskennt, kann es sein, dass er das Foto von Jasmin runtergeladen und den Hintergrund mit dem Strand durch eine Bilddatenbank gejagt hat, um einen Abgleich zu bekommen. Das ist möglich, aber die Anzahl der Bilder ist dort sehr begrenzt.«
Er öffnete ein neues Fenster im Webbrowser.
»Die andere Möglichkeit ist Google.«
»Google? Inwiefern?«
»Er kann alle Bilder, die Google von irgendwelchen Stränden irgendwo findet, mit diesem Bild vergleichen. Bei Millionen von Bildern von Millionen Urlaubern auf Millionen von Servern ist die Chance sogar recht hoch, dass eines dieser Bilder dem hier mehr oder weniger ähnlich sieht und zufällig den Titel ›Fuerteventura, Puerto del Rosario‹ trägt. Wenn er Glück hat, bekommt er sogar drei Bilder mit diesem Titel und kann ganz sicher sein.«
»Können wir das mal gegenchecken?«
Hermann schüttelte den Kopf. »Nicht auf die Schnelle.«
»Lass mich raten.« Clara bohrte weiter. »Weil man dafür einen sehr leistungsfähigen Computer braucht und selbst der einiges an Zeit benötigt?«
»Exacto!« Hermann nickte. »Dauert mit Sicherheit einen Tag, wenn nicht mehr.«
»Und der Killer hat vielleicht einen solchen Computer und die Geduld und die Zeit, das durchzuziehen?«
Hermanns Blick verdüsterte sich, und er nickte wieder. »Könnte sein.«
»Eins gefällt mir gar nicht«, sagte Clara. »Dass dieser Bursche extrem geduldig, methodisch und clever zu sein scheint.«
»Ja. Wie ein Kerl, der mit ’ner Schrotflinte eine Tankstelle überfällt, sieht er mir auch nicht aus.«
»Jetzt mal im Ernst.« Clara nahm die Füße vom Stuhl und stand auf. »Wir brauchen einen Anhaltspunkt. Wenn die DNA von dem Kerl nirgends gespeichert ist, haben wir gar nichts. Wie geht denn die Unterhaltung weiter?« Sie griff nach den Ausdrucken und las den
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