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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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müssten in Deutschland bleiben. Aber hier hatten sie keine Verwandten, niemanden, der sie aufnehmen konnte.
    Es blieb also nur das Kinderheim am Rande von Berlin – ein Gebäude, dessen schwarze vergitterte Fenster an der Waschbetonfassade wie eine Reihe klagender Totenköpfe aussah. Alles war genauso reparaturbedürftig wie die Bewohner. Und beide Reparaturen würden wohl niemals durchgeführt werden.
    Aus Staub bist du gemacht, und zu Staub wirst du werden, bis der Herr dich auferweckt am Jüngsten Tag, hatte der Priester auf der Beerdigung der Eltern gesagt, als die beiden Särge sich langsam ins Grab senkten und Vladimir und Elisabeth, die Gesichter noch immer vom Schock gelähmt, ihnen hinterherschauten.
    Die Heimleiterin hatte kurz mit ihnen gesprochen und ihnen gleich gesagt, dass sie in wenigen Tagen in den Ruhestand gehen würde. Angeblich war es ein freundliches Heim, in dem es friedlich und geregelt zuging, doch schon am ersten Abend hatte Vladimir erkennen müssen, dass die Wirklichkeit ganz anders aussah: Das Heim war ein rechtsfreier Raum, in dem das Gesetz des Stärkeren regierte. Legte man sich mit den falschen Leuten an, überlebte man nicht. Man musste den Kopf unten, den Mund geschlossen und die Augen offen halten.
    Vladimir und Elisabeth waren nun allein auf der Welt, allein in dem Raubtierkäfig des Heims, getrennt durch meterlange Gänge. Sie saßen tränenüberströmt auf der Terrasse, dort, wo der Regen aus einem grauen, endlosen Wolkenteppich fiel. Die Geschwister fühlten sich so winzig und hilflos wie eine Träne im regendurchtränkten Himmel.
    Sie blickten auf die Tannenwälder jenseits der Straße, hielten sich bei den Händen und fühlten sich so einsam, wie man sich nur fühlen konnte. Als wären sie allein in einem kalten, lebensfeindlichen Universum, Lichtjahre von den Tannenwäldern, dem Elterngrab und der Erde entfernt.

4.
    Es regnete noch immer in Strömen, als Clara um 8.30 Uhr in ihrem Büro eintraf. Der Bericht der Rechtsmedizin lag auf dem Tisch, dazu die Fotos von Jakob Kürten – die des lebenden Jakob und die aus der Rechtsmedizin und vom Tatort, die ihn in seinem jetzigen Zustand zeigten.
    Clara stockte, als sie den Bericht las. Es ging um die Käfer. Die Entomologen hatten deren Mägen untersucht und darin Reste der DNA von Jasmin Peters und Jakob Kürten gefunden. Clara sprach sofort mit dem zuständigen Wissenschaftler und erkundigte sich, warum die DNA nach so langer Zeit noch in den Mägen der Käfer zu finden sei.
    »Aufgrund der exoskelettalen Struktur dieser Insekten werden manche Eiweißverbindungen nicht sofort verdaut«, erklärte der Wissenschaftler, »sondern in einer Chitinhülle unterhalb des Panzers abgelagert. Chitin besteht aus Kohlenstoffverbindungen, so wie DNA. Das bedeutet, dass ein Teil der aufgenommenen Kohlenstoffverbindungen nicht vollständig verdaut wird, sondern gewissermaßen als Bausubstanz für den Chitinpanzer dient.« Clara stand fasziniert am Fenster, den Telefonhörer in der Hand. »Wenn man Glück hat«, fuhr der Wissenschaftler fort, »ist die DNA noch in einem Zustand, dass man sie identifizieren kann.«
    Verrückt , dachte Clara, Totenkäfer als mobile Sammelstelle von DNA. Sie überlegte kurz, ob dies vielleicht eine Chance bot, den Mörder zu identifizieren. Irgendein Gedanke streifte ihr Bewusstsein, doch sie konnte ihn nicht fassen und konzentrierte sich wieder auf den Bericht.
    Die IT hatte herausgefunden, dass Kürten sich auf diversen SM-Plattformen herumgetrieben hatte, dass er in Low-Budget-Schwulenpornos als aktiver und passiver Part mitgespielt hatte und dass er sich in einem Chat einmal unter dem Pseudonym »Plaguebearer« gebrüstet hatte, schon zwölf andere Männer mit dem HIV-Virus angesteckt zu haben.
    Am Ende , dachte Clara, war er auch so etwas wie ein Serienkiller. Einer, der an einen noch schlimmeren Killer geraten ist.
    Jeder Teufel findet irgendwann seinen Meister, sagte Winterfeld immer.
***
    Es roch nach Earl Grey.
    Martin Friedrich, genannt MacDeath, hatte eine Kanne heißen Tee nebst Tasse und Untertasse auf seinem Schreibtisch stehen und hackte wieder mit verzerrtem Gesicht eine Mail in seinen Computer, als Clara an den Rahmen der offenen Tür in der vierten Etage klopfte.
    »Nehmen Sie Platz, bin gleich für Sie da«, sagte MacDeath, heute mit einer burgunderfarbenen Krawatte unter dem blauen Pullunder, und zeigte auf einen der Stühle. Dann hackte er mit dem Zeigefinger so aggressiv auf den

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