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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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Killer war intelligent, gefährlich und geduldig. Er wusste viel mehr über die Ermittler als die Ermittler über ihn. Er hatte Webcams in den Wohnungen von Jasmin und Jakob installiert, die die Beamten beide Male beim Betreten der Tatorte gefilmt hatten. Und er hielt sie zum Narren. Er hatte eine Zeitschaltuhr an der Küchenbeleuchtung von Jakob Kürtens Wohnung angeschlossen, damit das Licht mal aus- und mal anging, sodass alle dachten, der gute Jakob wäre zu Hause und würde sich bester Gesundheit erfreuen.
    Der Killer war wie ein Virus. Er nahm die Gestalt eines attraktiven Mannes an, der längst tot war, erschlich sich das Vertrauen hübscher Mädchen und brachte sie um. Aber warum? Er hatte Jasmin als »heiliges Opfer« bezeichnet? War der Mann ein religiös motivierter Ritualmörder? Einer, der sich durch sakrale Phrasen wichtig machen wollte? Oder einfach nur ein Spinner, wenn auch ein brandgefährlicher?
    Die Mail war wieder von einem öffentlichen Café aus abgeschickt worden, dem Coffee Inn am Flughafen Schönefeld, wie die IT-Abteilung herausgefunden hatte. Doch wie sollte man jemanden finden, von dem man nicht einmal wusste, wie er aussah? Ebenso wenig konnte man alle Männer, die auf Dating-Plattformen unterwegs waren, kontrollieren, verfolgen und verhören. Es waren Tausende und Abertausende. Und der Killer war irgendwo dazwischen wie Edgar Allan Poes Mann in der Menge.
    Der Mann in der Menge, der allein ist, aber nicht allein sein will. Der nicht allein sein darf, weil die Menge seine Tarnung ist. Weil er aus der gesichtslosen Anonymität der Menge heraus brutal zuschlägt, um im nächsten Moment wieder darin zu verschwinden.
    Clara zuckte zusammen, als die Asche aufs Parkett fiel und eine kleine graue Staubwolke aufstieg. Sie griff zur Packung Lucky Strike, die sie sich an einem Nachtkiosk an der Schönhauser Allee geholt hatte, zündete die zweite Zigarette an, inhalierte den Rauch und blies ihn zur Decke, wo er im Widerschein des gedimmten Deckenstrahlers und des Lichts der zwei Kerzen auf dem Wohnzimmertisch bizarre Strukturen bildete, symmetrisch und chaotisch zugleich.
    Bald kann ich gemeinsam mit Winterfeld ›nach draußen rauchen‹ , dachte Clara. Noch so eine üble Angewohnheit wie das Trinken.
    Sie lehnte sich zurück. Was war passender? Rauchen oder Trinken? Nach ein paar Minuten des Nachdenkens kam sie zu dem Schluss, dass Rauchen irgendwie ehrlicher war und die Misere der menschlichen Existenz besser versinnbildlichte. Rauchen ist das Einzige, was man in einer kaputten Welt wie dieser tun konnte , dachte Clara. Ein bisschen wie ein Brandopfer, das die Sorgen und Ängste im Rauch davonträgt – und einen trotzdem allein lässt. Zigaretten verbrannten, und es blieben nur Stummel übrig, die zertreten wurden. Bierflaschen hingegen wurden in Kästen sortiert, zurück zum Händler gebracht, durch die Lande kutschiert, gereinigt und wiederverwertet.
    Sie trank einen Schluck Whisky und genoss es, wie der rauchige Geschmack des Scotchs sich mit dem Raucharoma der Zigarette vermischte. Die Menschen sind wie Zigaretten , dachte sie. Sie werden von Emotionen in Brand gesetzt und von Versprechungen und Hoffnungen am Glühen gehalten. Und sind sie dann ausgebrannt, werden sie zerquetscht und weggeworfen. Die Welt ist nichts weiter als ein riesiger, stinkender Aschenbecher.
    Sie musste lachen über diesen Vergleich, verstummte aber sofort. Denn Lachen klingt manchmal verrückt, wenn man ganz allein lacht.

3.
    Ein ohrenbetäubender Knall. Dann nur noch Schwärze.
    Es war genau 14.17 Uhr gewesen, als es passiert war. Der Vater hatte vorne auf dem Fahrersitz gesessen, die Mutter genau hinter ihm, Vladimir vorne rechts, seine kleine Schwester Elisabeth hinter ihm auf der Rückbank.
    Der Sattelschlepper war vor ihnen gefahren. Er hatte Baumstämme transportiert. Plötzlich hatte einer der Stämme sich gelöst, war durch die Luft geflogen und hatte mit brachialer Gewalt die Windschutzscheibe des Wagens auf der Fahrerseite durchschlagen. Er war wie ein Geschoss in den Wagen eingedrungen und hatte von den Köpfen der Eltern nur blutige Ruinen übrig gelassen, während der Wagen in den Straßengraben gerast war und sich mehrmals überschlagen hatte.
    Die beiden Kinder hatten wie durch ein Wunder überlebt. Sie hatten den Verlust der Eltern noch gar nicht begriffen, erst recht nicht verarbeitet, als Polizei und Jugendbehörde erschienen. Die Kinder könnten entweder zurück in ihre ferne Heimat, oder sie

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