Final Cut - Etzold, V: Final Cut
treffen.«
Eigentlich hatte Torino sich immer gut im Griff. Emotionen und Leidenschaften hatte er stets als störend für den Geschäftserfolg gehalten. Es gab zwar die üblichen ausschweifenden Partys in seiner Branche, aber große Gefühle hatte es seit dem Start von Integrated Entertainments nicht gegeben. Dafür fehlte ihm die Zeit. Außerdem gehörte Torino zu den Leuten, für die unternehmerische Risiken und die damit verbundenen Gewinne viel reizvoller waren als das Spiel mit Gefühlen. Emotionen waren etwas für Träumer und Trottel. Dennoch riss ihm jetzt langsam der Geduldsfaden.
»Sag bloß, du musst das noch mit irgendwelchen Miefärschen von Anwälten abstimmen?«
»Die Situation ist für uns nicht ganz einfach«, antwortete Myers. »Wie sagte euer preußischer König? Der Alte Fritz?«
Torino und Schweine-Jochen zuckten die Achseln. »Der hat viel gesagt.«
»Wer mit Affen spielt, wird gelegentlich gebissen, oder so ähnlich«, fuhr Myers fort. Torinos Miene verfinsterte sich noch mehr ob dieses Vergleichs. »Die Show ist ein Knaller und zieht eine Menge Leute an, allerdings auch eine Menge kaputter Typen. Deshalb ist es für uns nach wie vor ein Reputationsrisiko.«
»Du willst mit Affen spielen, aber nicht gebissen werden?«, fragte Torino, während Jochen seinen Champagner im Glas schwenkte und Myers unverwandt mit seinen Glupschaugen anstarrte.
»Man kann immer gebissen werden«, sagte Myers und trank mit spitzen Lippen noch einen kleinen Schluck. »Wir wollen nur sichergehen, dass nach dem Biss die Tetanus-Spritze in Reichweite ist.« Er machte Anstalten, aufzustehen. »Und dafür brauchen wir die Anwälte.«
»Du willst schon los?«, fragte Torino. »Wir haben doch gerade erst angefangen.«
Myers erhob sich. »Ich checke das mit der Rechtsabteilung in Cupertino.«
»Dann ruf doch kurz an und feier mit uns weiter«, sagte Schweine-Jochen.
Myers lächelte das erste Mal. »Vielen Dank, aber ich muss die Telefonate in Ruhe führen. Das geht in meinem Hotelzimmer besser.« Er steckte seinen Blackberry in die Anzugtasche. »Sobald ich fertig bin, komme ich zurück. Zum Hilton am Gendarmenmarkt sind es ja nur sechs Minuten.«
Torino nickte. In seinem Blick lag Verständnis, aber auch ein wenig Enttäuschung darüber, dass die Sache immer noch nicht unter Dach und Fach war. »In Ordnung. Aber sag den Anwälten, sie sollen ausnahmsweise mal das Gewinnpotenzial sehen und sich nicht nur vor irgendwelchen Paragraphen einen runterholen.«
»Mach ich«, sagte Myers. »Dann reden wir weiter.« Er nickte und ging zum Ausgang.
»Scheiß drauf«, sagte Torino zu Jochen und griff nach seinem Handy. »Wir lassen uns die Feier nicht verderben. Rufen wir die Miezen an.«
Torinos und Jochens Blicke folgten Myers, der gerade zur Tür hinaus verschwand.
Auch der Mann mit den kurzen blonden Haaren, der an einem der Tische am Eingang saß, blickte Myers hinterher.
Ein Mann mit einer Brille mit mattem Edelstahlrahmen.
27.
»Katharsis«, sagte MacDeath und ging dozierend im Zimmer auf und ab. »Die Reinigung. Das Bewusstsein wird sozusagen durchgelüftet und von bedrückenden Dingen befreit.« Er blieb neben dem Bild des Jüngsten Gerichts stehen. »Je traumatischer das Erlebnis, das verarbeitet werden muss, desto radikaler kann die Katharsis ausfallen.« Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: »Unser Mörder tötet Frauen, offenbar nicht sexuell motiviert. Er inszeniert nur eine Vergewaltigung, um die Ermittler in die Irre zu führen und sich als hochintelligenten, siegreichen Killer darzustellen, der nicht zu fassen ist. Richtig?«
»Richtig.«
»Er tötet Frauen, um jemand anderem ein Opfer zu bringen. Dies führt uns zu zwei Schlussfolgerungen.« MacDeath sah Clara erwartungsvoll an. »Die eine wäre?«
Clara antwortete: »Die eine wäre, dass die Person, die getötet wurde und die er um Vergebung bittet – der er das heilige Opfer bringt –, ebenfalls eine Frau ist.«
»Sehr gut.« MacDeath nickte. »Wenn wir nun auch noch die zweite Schlussfolgerung ziehen, erfahren wir noch mehr über unseren Killer.«
»Nämlich?«
»Er braucht die Katharsis, um sich selbst zu reinigen.« MacDeath ging wieder zurück zu seinem Platz, wo er direkt unter dem grinsenden Totenschädel stehen blieb.
»Sie meinen, er könnte missbraucht worden sein?«, fragte Clara. »Erniedrigt? Von seiner Mutter? Wie eine Art Norman Bates des Internetzeitalters, der es deshalb den Frauen heimzahlt?«
»Nein«, sagte MacDeath,
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