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Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition)

Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition)

Titel: Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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daß Raucher nicht im Nebenzimmer, sondern nur hinter einer Luftschleuse qualmen dürfen, Pestkranke in Quarantäne, und daß in ehrwürdigen Londoner Cigar Smokers’ Clubs nicht mehr geraucht werden darf – und wenn wir uns das gefallen lassen, dann kann man vermutlich alles mit uns machen. Was sie Nichtraucherschutz nennen, ist tatsächlich ein großes Umerziehungslager. Aber nehmen wir etwas anderes. Was braucht dieses unser Land?«
    »Alte Männer? Neue Frauen? Kinderherzen in Aspik?«
    »Gefällt mir.« Baltasar lachte leise. »Woher hast du das?«
    »Kann mir das nicht selbst eingefallen sein?«
    »Mir fällt so etwas ein«, sagte Matzbach ein wenig gespreizt. »Andere zitieren. Sei’s drum. Nein, mein Herr, unser Land braucht viele Dinge. Zum Beispiel Politiker, die reden, statt immer nur die gleichen Textbausteine zu verwenden. Zum Beispiel Parteien, die sich mehr um das Gemeinwohl als um die eigenen Belange kümmern. Zum Beispiel weniger Gesetze – ich glaube, ungefähr sechzig Prozent der auf dem Globus ausgeheckten Gesetze werden bei uns verabschiedet.
    Ein neues Steuerrecht, für jeden verständlich und ohne hunderttausend Ausnahmen, das wäre was; oder ein neues funktionierendes Gesundheitssystem, nachdem Frau Schmidt und Herr Lauterbach das alte funktionierende demontiert haben, weil es nicht gleich genug war. Und du weißt ja, alle Tiere sind gleich, aber manche … Das nur nebenbei.«
    »Klingt wie ein Zitat«, sagte ich. »Das mit den Tieren. Oder ist das von dir?«
    »Ist ein Zitat, müssen wir jetzt aber nicht erörtern. Was könnte das Land sonst noch brauchen? Eine Anweisung an die Industrie, Geräte herzustellen, die aus sind, nicht auf Stand-by, wenn man sie ausschaltet. Könnte einiges an Energie sparen. Aber der Spielraum für die Politik gegenüber der Wirtschaft ist ja so klein geworden … Nicht zu reden vom Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung und davon, daß ohne Geisteswissenschaften keine abendländische Kultur mehr übrig bleibt, die wir gegen irgendwen verteidigen könnten.«
    »Ja, ja, Großmutter«, sagte Zaches. »Jetzt müßten eigentlich noch Pisa und Bologna kommen, wie?«
    »Pisa nicht.« Baltasar hielt den Zigarillo nicht ganz senkrecht. »Nein, Pisa ist nicht schief genug. Bologna? Weißt du, da du ja lange fort warst, was es damit auf sich hat?«
    »Irgendeine Reform, oder? Ein Umbau an den Unis?«
    »Könnte man so nennen.« Er deutete mit der Spitze des Zigarillo auf mich; ein Teil des Aschekegels brach ab und verteilte sich auf der Tischplatte. »Die Kindlein sollen schneller mit dem Studium fertig werden, deshalb müssen sie nicht mehr so viel wissen. Und sie sollen nicht so viel Freiheit haben und etwa auf den blöden Gedanken kommen, sich rechts und links ein bißchen umzuschauen. Sie könnten ja glatt merken, daß die neuen Pläne von Analphabeten ausgeheckt wurden. Deshalb Schluß mit akademischer Freiheit und eigener Gestaltung, statt dessen enge Studienpläne, fast wie in der Schule. Also, weniger Inhalt, dafür mehr Methode; man weiß hinterher zwar nichts, kann es aber besser vermitteln. Und man hat uns ja dreißig Jahre lang eingeblasen, daß neben der Wirtschaft Geisteswissenschaften, Sprachen, Kultur, Literatur nichts gelten. Was dazu führt, daß der nächste Voltaire, der uns wieder das Denken beibringen könnte, überhaupt nicht mehr zur Kenntnis genommen wird.«
    »Ja«, sagte ich ein bißchen verzweifelt. »Und was hat das jetzt mit dieser Hütte zu tun? Mit Oswin?«
    Matzbach hob einen Finger. »Kommt gleich, du wirst schon sehen. Also, was brauchen wir? Neues Steuersystem. Neues Rentensystem. Neues Gesundheitssystem. Vielleicht eine neue Außenpolitik. Bestimmt eine andere Wirtschaftspolitik – wozu sollen wir eigentlich Banken finanzieren? Die sollen
uns
finanzieren! Ach was. Nein, was haben wir statt dessen gekriegt? Eine Rechtschreibreform und ein Rauchverbot. Das heißt, die zuständigen Leute sind allesamt nicht imstande, die nötigen Dinge zu erledigen, und damit man nicht merkt, wie überflüssig sie sind, tun sie unnötige Dinge, und dann sagen sie, seht ihr, wir arbeiten ganz fürchterlich.«
    Er schnappte nach Luft, um seine Tirade fortzusetzen; ich nutzte die winzige Pause und sagte: »Oswin! Der Pakistaner! Bonn! Die Hütte in diesem idyllischen Forst!«
    »Alles hängt mit allem zusammen. Der Staat ist verschuldet. Die Länder sind verschuldet. Die Städte sind verschuldet. Nehmen wir als Beispiel den Mikrokosmos Bonn. Ein

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