Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition)
Vor einem guten Dutzend Jahren hat sich aber eine Hinterzimmerkabale gebildet; beteiligt waren ein paar Verfechter der Theorie, die herrschende Sprache sei die Sprache der Herrschenden – du weißt schon, macht kaputt, was euch kaputtmacht –, und dazu ein paar Idioten mit und ohne Beamtenstatus. Leute, die mit Sprache arbeiten – Journalisten, Schriftsteller, Juristen und derlei – sind nicht gefragt worden, als diese überbezahlten Analphabeten die Sprache für sich beansprucht und neue Regeln erfunden haben. Falsche Etymologien, Widersprüchliches, idiotische neue getrennt« – Pause – »Schreibungen, blödsinnige Kommaregeln. Dann gab’s in einem Bundesland ein Volksbegehren, zwei Drittel waren gegen diesen Unfug, aber was weiß schon das Volk, dem die Sprache gehört?«
»Kriegst du die Kurve heute noch?« sagte ich. »Was hat das alles mit Oswin und Mister Nawazish zu tun?«
»Nichts«, sagte er mit einem breiten Grinsen, »und alles. Vergiß nicht das Rauchverbot.«
»Daran werd ich doch dauernd erinnert.«
»Siehst du? Wenn sie uns schon nicht vor dem Bankenterror und dem Kollaps des Gesundheitssystems schützen können, wollen sie uns wenigstens zwingen, ›daß‹ mit ess ess zu schreiben und zwar nicht zu rauchen, aber Tabaksteuer zu bezahlen. Weil ja alles mit allem zusammenhängt. All dieser Murks, den ich aufgezählt hab, ist Teil des großen Experiments, mit dem wir zu gefügigen Rädchen gemacht und am Denken gehindert werden sollen. Und, nicht zu vergessen, die Wirtschaft hat daran bestens verdient. Sie hat viel mehr Spielraum, wie gesagt. Und weil alles mit allem zusammenhängt, bin ich sicher, daß der Antiraucher, der für den Schuß auf Oswin eigentlich zuständig ist, auch den Godesberger Moltkeplatz und die Rechtschreibreform verbrochen hat.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Nee.« Er grinste und stand auf. »Willst du hier übernachten oder zurück in deine Hütehütte?«
9. Kapitel
Am nächsten Morgen kam ich später als sonst aus den Federn. Kaum verwunderlich nach den Vorgängen des Abends, sagte ich mir, und vielleicht noch mehr nach Matzbachs kuriosem Gerede. Mit halboffenen Augen stieg ich in den Fiesta und fuhr zur nächsten Tankstelle; irgendwie war mir danach, zum Frühstück Brötchen (wenn schon nicht vom Bäcker, dann wenigstens von der Tankstelle) und den
Express
zu konsumieren.
So kaute ich und las, daß der Anwalt A., dessen Haus Ziel eines Anschlags gewesen war, untergetaucht sei, an seinem Urlaubsort nicht zu finden; die Polizei und die Staatsanwaltschaft, hieß es, hätten ihn schon länger verdächtigt, an der Organisation unsauberer Geschäfte beteiligt zu sein. Man munkele (bei diesem Wort stelle ich mir immer eine faltige Greisin vor, die halblaut durch verkniffene Lippen spricht – eine Munkelmuhme; vielleicht sieht sie auch noch aus wie eine vertrocknete Runkelrübe, und dann wäre sie eine Munkelrunkelmuhme) von Geldwäsche und Rauschgift und Waffenschieberei oder Subventionsbetrug. Möglicherweise sei der Anschlag eine Racheaktion eines unzufriedenen Geschäftspartners oder Konkurrenten oder konkurrierenden Hehlerbande …
Ich hatte eben zu Ende gefrühstückt und wollte mit dem letzten halben Becher Kaffee in den Garten gehen, um zu sehen, wo sich Gereon gerade herumtrieb. Vielleicht gab er mir ja Anlaß, mit ihm zu munkeln, weiteren Kaffee zu brauen und alle gründlicheren Überlegungen aufzuschieben. Da klingelte es an der Tür. Ich öffnete und sah mich der massiven Polizistin Unger gegenüber.
»Morgen – ich hoffe, ich störe nicht«, sagte sie.
»Kommen Sie rein. Ich wollte gerade etwas ohne jeden Grund tun. Jetzt habe ich einen Grund, den nächsten Kaffee zu machen.«
»Nehm ich gern an, aber nur kurz.«
Als die Kaffeemaschine zu arbeiten begann, setzte ich mich zu Frau Unger an den Küchentisch. Sie hatte einen kleinen Block vor sich gelegt und blätterte darin.
»Sieht wie schlimme Arbeit aus«, sagte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. »Muß sein, ist aber nicht weiter wild. Nur noch ein paar Nachfragen.«
»Schießen Sie los.«
»Die anderen – dieser Matzbach und Frau Schneider?«
»Futsch.«
»Inwiefern?«
»Jeweils bei sich zu Hause, nehm ich an.«
»Wissen Sie, ob Frau Schneider noch was eingefallen ist? Ob sich die Lücken ein bißchen aufgefüllt haben?«
»Nein, soviel ich weiß. Oder jedenfalls nicht sehr. Wir sind ein bißchen in der Gegend rumgefahren, und irgendwann hat sie dann ihr Auto gesehen und
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