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Finish - Roman

Finish - Roman

Titel: Finish - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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»Mentor« sein sollte, als Henry Irving vorgestellt wurde, konnte Mandy ihren Ohren nicht trauen. Moriarty und Edwin Booth hatten mit Irving fünfzehn Jahre zuvor in Manchester auf der Bühne gestanden. Damals war Booth der Star und Irving ein kleiner Nebendarsteller gewesen. Heute war Irving Englands gefeiertster Schauspieler, und nun sollte er ihr – Lord Graftons freundlicher Unterstützung sei Dank – für die kommenden vier Wochen zur Verfügung stehen.
    Irving war der perfekte Lehrer für Mandy. Wohlerzogen und diplomatisch, holte er das Beste aus ihr heraus und zeigte ihr das Ebenmaß, das Shakespeares Versen innewohnte und ihnen Kraft und Bedeutung verlieh.
    Wie alle guten Lehrer zog er alles heran, was ihm als Beispiel dienlich sein konnte. Das schlagkräftigste Beispiel war Hettie Carr, deren Stimmvolumen selbst das von Irving überstieg. Zwar war Hettie eher ein Naturtalent als eine geschulte Darstellerin, doch Irving konnte den Ursprung ihrer Stimmgewalt dennoch benennen und Mandy mittels Nachahmung zu ähnlichen Leistungen bringen. Und obwohl Mandy im Mittelpunkt seiner Bemühungen stand, machten sich auch die anderen Frauen Irvings Übungen zur täglichen Pflicht.
    Man konnte förmlich zusehen, wie Mandys Selbstvertrauen wuchs. Mit Feuereifer folgte sie Irvings Anweisungen und übte bis spät in die Nacht auf Graftons winziger Bühne, ehe sie Irvings Bitten, sich auszuruhen, endlich nachgab. Er versicherte ihr, er habe noch nie eine Dame mit solchem Arbeitseifer getroffen.
    Während die Männer Buck im öden, schottischen Leadhills auf den größten Wettkampf seines Lebens vorbereiteten, arbeiteten die Frauen nicht minder eisern auf ihre große Herausforderung hin: das »Theater des Westens«.

14
DAS EINZIG WAHRE
    Leadhills, 1. August 1877
    Die Bergleute von Leadhills waren ein wortkarger Haufen, doch sie wussten genau, weshalb Moriarty und seine Männer ins Dorf gekommen waren, denn vom Laufen verstanden sie etwas, und von Läufern ebenso. Wenn Moriarty mit seinen Leuten im öden Schankraum des Leadhills Arms saß, spürte er eine tiefe Verbundenheit mit diesen rußverschmierten, von der Kohle gezeichneten Männern, deren vernarbte, von Adern durchzogene Rücken aussahen wie Stiltonkäse. Wären er und sein Vater nicht vor 30 Jahren nach New York aufgebrochen, wäre er einer von ihnen. Sechs Tage die Woche wühlten sich diese Männer wie Ratten durch den niedrigen Flöz und verdienten weniger als ein Pfund – weniger als ein Tausendstel von dem, was er aus einem einzigen Bluff herausholte.
    Schon bald hatte Moriarty Bekanntschaft mit ihrem Anführer Alec Docherty geschlossen, der ungefähr in seinem Alter war, jedoch zehn Jahre älter aussah. Der ausgezehrte Docherty hatte seine Kumpels durch drei erfolglose Streiks geführt, derweil sich ihre Familien von Gras ernährt hatten. Sollte Buck Miller in Barnsley gewinnen, würden 1000 Pfund in Dochertys Streikkasse gehen, darauf gab Moriarty sein Wort. Im Gegenzug würden die Kumpels von Leadhills dafür sorgen, dass kein Wort über Buck Millers Anwesenheit an die Außenwelt drang. Die Sache war abgemacht.
    Leadhills, 25. August 1877
    Mindestens 3000 Bergleute saßen kalten Tee trinkend und Sandwiches essend ringsum auf den Kohlehalden und sahen Buck bei den Vorbereitungen auf seinen letzten Übungslauf über die gesamten 400 Meter zu. Bei seinem ersten Versuch vor einem Monat hatte er genau 51 Sekunden gebraucht. Er hatte sich mit dem Tempo verzettelt und war die ersten 200 Meter in viel zu schnellen 23 Sekunden gelaufen. Die letzten 100 Meter hatten sich angefühlt wie der sandige 350-Meter-Windmühlenlauf in Cromer. Bei seinem zweiten Versuch eine Woche später war er zu vorsichtig gewesen und hatte für die ersten 200 Meter 25 Sekunden gebraucht. Doch dann hatte er noch einmal aufgedreht, war knapp über 25 Sekunden gelaufen und schließlich auf 50,2 Sekunden gekommen. Jetzt, durch gezieltes Training auf schnittige 70 Kilo getrimmt, strebte er nach der wohltarierten, fragilen Schrittfrequenz, die ihn mit dem richtigen Kraftaufwand an die 49 Sekunden bringen würde.
    Moriarty und Grimthorp hatten dafür gesorgt, dass die Bahn für den letzten Probelauf gesiebt und gewalzt worden war. Dochertys Leute hatten sich der Sache angenommen und den ganzen Tag damit zugebracht, dem Belag die perfekte, fürs Sprinten unerlässliche federleichte Härte zu verleihen. Nun war sie fertig.
    Moriarty, Billy Joe, Grimthorp und Weir standen, von einem Bein aufs

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