Finkenmoor
Arbeit
»Sie haben auf keinen Brief reagiert«, beharrte Frau Schrot und sah Norma über ihre schmale Lesebrille strafend an. Ihr Dekolleté war ledrig.
Zu viel Sonne, dachte Norma.
»Die Post der Arbeitsagentur zu ignorieren ist keine gute Idee. Haben Sie denn nicht über die Konsequenzen nachgedacht?«
Kitty schlief im Tragegurt vor Normas Brust. Sie küsste die Kleine sanft auf die Echthaarsträhne und versuchte, ihre Fallmanagerin auszublenden.
Vergeblich. Frau Schrot redete unaufhaltsam weiter und laberte Schrott.
Norma lächelte über das Wortspiel.
»Ich weiß nicht, was daran lustig ist! Außerdem müssen Sie uns jede Veränderung in Ihrem Leben mitteilen. Mir war bisher nicht bekannt, dass Sie ein Kind haben.«
Norma drückte Kitty an sich, die leicht nach Penatencreme und Bananen roch. Ein wohliges Gefühl durchfuhr Normas Körper, sie schloss die Augen, träumte sich für einen Moment fort, raus aus diesem Büro, in ihre Wohnung, auf den Balkon, umgeben von ihren Lieben.
»Wie alt ist die Kleine?«
»Bitte?«
»Ihr Baby, wie alt ist es denn?« Die Sachbearbeiterin klang interessiert.
»Drei Wochen.«
»Dann stehen Sie dem Arbeitsmarkt doch noch eine ganze Weile gar nicht zur Verfügung«, stellte Frau Schrot fest. »Wann können Sie denn wieder arbeiten gehen?«
Norma wich zurück. Sie wollte nicht hier sein. In Gedanken verfluchte sie ihre Mutter. Wie um alles in der Welt hatte sie die Briefe hinter der Kommode entdeckt? Von wegen Zufall! Rumgeschnüffelt hatte sie. Norma war nur froh, dass sie ihre Schlafzimmertür abschließen konnte. Den Schlüssel versteckte sie in der Büchse mit dem Haushaltsgeld. Natürlich war ihre Mutter misstrauisch deswegen. Ständig bohrte sie nach. »Was verheimlichst du mir, Norma? Warum lässt du mich nicht in dein Schlafzimmer, Norma?«
Aber in dieser einen Sache blieb sie hart. Das Schlafzimmer war ihr Reich. Rückzugsort. Schutzraum für sie und die Kinder.
Mittlerweile hatten die Kleinen das Zimmer völlig in Beschlag genommen. Mit zwei Wiegen, der Wickelkommode, einem Pax-Auli-Kleiderschrank von Ikea mit Schiebetüren für die Babysachen, zweiundzwanzig Plüschtieren, einem Laufstall und dem dort geparkten Zwillingskinderwagen erinnerte der Raum eher an eine Abstellkammer. Norma bemühte sich trotz Platzmangels um eine gemütliche Atmosphäre. Kinder brauchten nun mal klare Strukturen und eine gewisse Ordnung.
»Hören Sie, wenn Sie nicht mit mir zusammenarbeiten wollen, können wir die Sache hier auch abkürzen.«
Norma presste sich in die Sitzfläche des Stuhls und Neuzugang Kitty an sich. In dem winzigen Körper schlug eine kleine batteriebetriebene Herzbox. Norma hörte sie leise arbeiten und entspannte sich ein wenig. Wenn sie bloß nicht so schwitzen würde. In diesem Büro stand die Luft. Oder war sie einfach zu warm angezogen? Dieser Sommer verdiente den Namen nicht im Geringsten. Regen, herbstliche Temperaturen und unangenehme, meist kurze Hitzeperioden, die Gott sei Dank meist nicht lange anhielten, wechselten sich ab.
Frau Schrot räusperte sich.
Norma blickte auf. »Entschuldigung, was haben Sie gesagt?«
Schrotti schlug einen verständnisvolleren Ton an. »Sie sind im Mutterschutz. Zurzeit also nicht vermittelbar.«
Mutterschutz. Norma blieb an dem Wort hängen. So eine hohle Phrase. Sie fühlte sich nicht beschützt. Mutterschutz gab es nicht, jedenfalls hatte sie davon noch nie etwas bemerkt. Früher nicht und jetzt schon gar nicht. Niemand schützte Mütter. Genauso wenig wie Kinder. Kinderschutz und Mutterschutz. Worthülsen. Eine gewissensberuhigende Plattitüde. Fromme Wünsche, die am Alltag scheiterten.
»Sie können einen Antrag auf Kindergeldzuschlag stellen.« Frau Schrot reichte Stift und Klemmbrett über den Tisch. Sie verlor die Geduld, ihre Stimme verriet Gereiztheit. »Lassen Sie sich Zeit, Sie können ihn auch mitnehmen, zu Hause ausfüllen und mir zusenden. Aber bitte daran denken!«
Norma überflog die Felder, die sie ausfüllen sollte. Dort war nicht genug Platz für ihre Kinder. »Kann ich noch ein Formular bekommen?«
»Natürlich. Hier, falls Sie sich verschreiben.«
Norma steckte die Anträge ein.
»Nur, dass wir uns richtig verstehen. Die Kürzung Ihrer Bezüge erfolgt trotzdem. Sie können dagegen in Widerspruch gehen. Und wenn Sie sonst Unterstützung für die Kleine brauchen, dann müssen Sie sich ans Jugendamt wenden. Haben Sie das verstanden?«
Norma erhob sich schwerfällig. Natürlich hatte sie
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