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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriane Angelowski
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dann stand sie tatsächlich auf seinen Schultern, suchte Halt am Fensterrahmen, schrie laut auf, verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten.
    Ivo sah, dass die Hände des Mädchens bluteten. »Mist! Das Glas«, sagte er mit Nachdruck. »Ich weiß, das tut weh, aber du musst da rauf und dich verstecken. Schnell!«
    Das Auto schien nun ganz nah.
    Das Mädchen weinte ununterbrochen. Ivo kämpfte ebenfalls mit Tränen, zog aber geistesgegenwärtig seine Turnschuhe aus, riss sich die Socken von den Füßen und stülpte sie über die Hände der Kleinen.
    Abrupt verstummt der Motor. Eine Autotür wurde zugeschlagen.
    »Los jetzt, versuch es noch einmal!«, rief Ivo, zerrte das Kind beinahe grob zu sich heran.
    Zu Ivos Erleichterung nahm sie erneut Schwung, gelangte auf Anhieb an den Rahmen, zog sich hoch und kroch nach draußen. Ivo ließ sie nicht aus den Augen, bis auch die Beine verschwunden waren.
    Schritte auf der Veranda. Sekunden später vibrierte die Holzdecke.
    Das Gesicht des Mädchens erschien noch einmal in der Öffnung.
    Ivo raufte sich die Haare. »Hau ab! Lauf weg.«
    Schlüssel klirrten.
    »Versteck dich! Schnell!«
    Sie verschwand.
    Im gleichen Moment wurde die Tür aufgerissen.
    Ivo blieb keine Zeit, um von der Werkbank zu klettern.
    Ronny schien die hell erleuchtete Situation im Bruchteil einer Sekunde zu erfassen, stierte von der offenen Seemannskiste zum eingeschlagenen Fenster. »Du verdammter Scheißkerl!«, schrie er, machte auf dem Absatz kehrt und polterte mit schweren Schritten aus dem Haus.
    Ivo bewegte sich zur Kante der Werkbank, ließ sich, um Zeit zu sparen, einfach fallen und schlug unsanft auf seiner rechten Schulter auf. Er schluckte den Schmerz hinunter, bewegte seinen Körper allein mit der Kraft seiner Arme, so schnell er konnte, zur Steintreppe und arbeitete sich erneut aufwärts. Schwitzend, voller Verzweiflung und Angst. Schon nach vier Stufen verließen ihn seine Kräfte. Er wurde langsamer, zitterte von der Überbelastung und vor Furcht.
    Als er fast oben war, hörte er lautes Fluchen.
    Wie paralysiert verharrte Ivo. Schritte auf dem Holzboden verhießen nichts Gutes. Ronny erschien mit hochrotem Kopf im Türrahmen.
    »Du verkrüppelte Missgeburt«, stieß er hervor, stürzte sich auf Ivo, stieß ihn die Treppe hinunter und trat nach ihm.
    Ivo flog über die rauen kantigen Stufen. Mit dem Hinterkopf schlug er auf den Eisenkopf eines großen Vorschlaghammers, der an einem Regal lehnte. Die Wucht des Aufpralls zertrümmerte sofort einen Teil seiner Schädeldecke. Blut sickerte seinen Nacken hinab auf den kalten Lehmboden. Ivos Augenlider wurden schwer. Einen Moment starrte er Ronny noch an. Er bewegte seine Lippen, versuchte seinem Peiniger zu sagen, dass seine Oma ihn erwartete und dass er seine Mutter liebte. Aber er brachte kein Wort hervor, fror auf einmal ganz furchtbar und wurde entsetzlich müde.
    ***
    Ronny sprang die Treppe hinab und drehte den bewusstlosen Bengel auf die Seite. Blut sickerte aus einer klaffenden Wunde am Hinterkopf. Der Stahlkopf steckte in seinem Schädel. Ronny nahm das Kind hoch, trat den blutverschmierten Hammer in eine Ecke und schleifte den Jungen zur Seemannskiste. Er quetschte ihn hinein und knallte den Deckel zu. »Das hast du nun davon, du mieses kleines Arschloch«, schimpfte er, stürmte noch einmal aus dem Haus und streunte durch den Wernerwald.
    Dieses Mädchen konnte nicht weit gekommen sein. Vermutlich hockte sie hinter irgendeinem Baum und pinkelte sich vor Angst in die Hose. Er musste sie aufzuspüren, hetzte umher. Trotz Dunkelheit und anhaltendem Regen durchpflügte er die ganze Umgebung, doch das Kind blieb wie vom Erdboden verschluckt. Kurzatmig kapitulierte er, als der Morgen graute.
    Resigniert stolperte Ronny zur Blockhütte und ließ sich auf einen schäbigen Sessel fallen. Seine Gedanken überschlugen sich. Fluchend ging er mit sich ins Gericht. Wie konnte er sich von einer doofen kleinen Heulsuse austricksen lassen? Und dann dieser Junge! Sämtliche Pläne hatte er ihm durchkreuzt. Dafür siechte er nun in der Kiste. Pech gehabt. Warum zur Hölle war er auch hier aufgetaucht? Ronny trat gegen den alten Schreibtischstuhl, der krachend gegen den Tisch schlug.
    Eigentlich war sein Vater schuld an der Misere.
    Zwei Tage hatte er wegen dem Alten in Hamburg vertrödelt, diese ätzende Geschäftsreise hatte ihm alles vermasselt. Hätte ihn sein Alter nicht gezwungen, ihn zu begleiten, wäre die Situation mit dem Kind mit Sicherheit

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