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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriane Angelowski
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komme wieder«, flüsterte er.
    Ohne eine Regung des Mädchens abzuwarten, ließ sich Ivo auf den feuchten Lehmboden zurückfallen und robbte der Steintreppe entgegen. Meter für Meter. Sein Training machte sich bezahlt – auch wenn er spürte, wie schnell ihn die Kräfte verließen, biss er die Zähne zusammen, arbeitete sich Stufe für Stufe nach oben.
    Die Kleine zog ihn völlig unerwartet an seiner Kapuze, als er die sechste Stufe erreicht hatte. Ivo fuhr herum.
    »Super! Kannst du die Treppe hochlaufen und gucken, ob die Tür offen ist?«
    Sie roch entsetzlich nach Urin und bewegte sich nicht, stand einfach nur da. Den Daumen ihrer rechten Hand im Mund, in der linken die kleine Musikwalze.
    »Lauf los!«, feuerte Ivo sie an. »Beeil dich, renn aus dem Haus und dann nach rechts. Nach rechts, hörst du! Weißt du, wo rechts ist?«
    Das Mädchen reagierte nicht.
    Ivo schrie sie regelrecht an. »Los! Lauf doch!«
    Aber sie blieb stehen, kaute auf ihrer Lippe.
    Ivo brüllte Befehle. Er war der Verzweiflung nah, riss sie am Arm. »Verdammt noch mal!«
    Im Licht seiner Uhr konnte Ivo das Mädchen nur undeutlich sehen. Einen Augenblick stand sie unschlüssig vor ihm. Dann setzte sie sich schließlich in Bewegung, ging die Stufen hinauf und drückte die Klinke. Nichts.
    »Noch mal, die klemmt bestimmt«, rief Ivo und arbeitete sich die restlichen Stufen nach oben. Schweißgebadet erreichte er den Treppenabsatz. Jetzt stand das Mädchen neben ihm, die Hand noch immer auf der Klinke. Ivo griff ebenfalls danach, hängte sich mit seinem ganzen Gewicht an den Griff. Aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Dieser verdammte Ronny hatte sie eingeschlossen.
    »Schlag auf den Lichtschalter«, sagte Ivo.
    Diesmal gehorchte die Kleine sofort. Im Licht einer nackten Glühbirne konnten sich die beiden Kinder zum ersten Mal genauer betrachten. Ivo erschrak beim Anblick des Mädchens. Sie sah erbärmlich aus, schmutzig, die Augen geschwollen und rot. Mit ausdruckslosem Gesicht sah sie zu ihm herab.
    Ivo ließ den Blick durch den Kellerraum gleiten. Sein Blick fiel auf das Fenster über der Werkbank. Es war etwas größer als ein Scout-Schulranzen. Das Mädchen würde dadurchpassen.
    »Komm mit«, befahl Ivo und arbeitete sich sitzend nach unten. Zu seiner Erleichterung folgte ihm die Kleine sofort. »Siehst du das Fenster? Du musst auf die Werkbank klettern und es öffnen. Verstehst du?«
    Statt einer Antwort stieg die Kleine sofort auf den Holztisch, stellte sich auf die Zehnspitzen und bekam den Fenstergriff tatsächlich zu fassen, aber er ließ sich nicht bewegen. Ivo überlegte, wie er ebenfalls auf den Tisch gelangen konnte, um ihr zu helfen, als er ein tiefes Brummen vernahm. Motorgeräusche. Entfernt, aber eindeutig.
    Auch die Kleine schien etwas gehört zu haben und starrte zu ihm herunter.
    Geistesgegenwärtig reichte Ivo ihr den Baseballschläger, der nach wie vor auf der Werkbank lag. »Nimm ihn in beide Hände und schlag das Fenster ein! Schnell!«
    Keine Regung.
    »Mach schon«, schrie Ivo sie an. »Wenn der böse Mann wiederkommt, wird er ziemlich wütend! Du musst die Scheibe kaputt schlagen! Hau ganz fest zu!«
    Jetzt nahm das Mädchen den Schläger in die rechte Hand, schwankte leicht, verlor beinahe die Balance, setzte ihn wieder ab und begann zu weinen. Ivo sah, dass sie die Walze nach wie vor in der Hand hielt.
    »Du musst den Baseballschläger in beide Hände nehmen! Gib mir die Walze!« Ivo streckte die Hand aus. Das Mädchen wich vor ihm zurück.
    Das Motorengeräusch eines Wagens näherte sich deutlich hörbar.
    Jetzt verlor Ivo keine Zeit und zog sich an der Werkbank hoch. Es kostete ihn eine enorme Willensstärke und zwei Anläufe, dann saß er auf dem Tisch. Er riss der Kleinen den Baseballschläger aus der Hand, streckte die Arme aus, zielte auf das Fenster über ihm und verfehlte es knapp. Sofort reckte er sich erneut, holte noch einmal aus und ließ den Schläger in die Scheibe krachen. Das Glas sprang. Angespornt von seinem Erfolg zielte Ivo noch einmal und traf erneut. Klirrend zerfiel die Scheibe in Einzelteile.
    Entschlossen schob er sich näher an die Wand und umfasste die Handgelenke der Kleinen. »Steig auf meine Schultern und kriech durch das Fenster nach draußen, hörst du? Du musst Hilfe holen!« Ivo streckte eine Hand aus. »Gib mir die Walze, ich werde gut auf sie aufpassen!« Sie gehorchte, Ivo schob das Spielzeug in seine Hosentasche.
    Zu seiner Erleichterung brauchte sie nur zwei Anläufe,

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